Anna im blutroten Kleid: Roman (German Edition)
bin, den ich heute sehr gut leiden kann, habe ich die Innenseite meiner Baseballmütze mit Alufolie verkleidet. Was denn? Ich war damals erst fünf und dachte, es funktioniert. Im Moment habe ich keine Baseballkappe mit Alufolie zur Hand, also denke ich ganz behutsam … Was auch immer das bedeutet.
»Wer bist du?«, frage ich. »Warum folgst du mir?«
Dann wird es mir klar. Er ist derjenige, der Gänseblümchen den Tipp gegeben hat. Ein telepathisch begabter Junge, der bei einer heißen Sache dabei sein will. Wie sonst hätte er gewusst, dass er ausgerechnet mir folgen muss? Wie sonst hätte er mich erkannt? Er hat sich wie eine Giftschlange im Gras versteckt und gewartet, bis ich in der Schule aufgetaucht bin.
»Willst du was essen? Ich sterbe vor Hunger. Ich
folge dir noch nicht sehr lange, mein Auto steht ein Stück die Straße hinauf.« Er dreht sich um und geht weg, die ausgefransten Hosenbeine schleifen bei jedem Schritt leicht über den Boden. Er läuft wie ein Hund, den jemand getreten hat, mit gesenktem Kopf und die Hände tief in die Hosentaschen geschoben. Ich ahne, woher er die verstaubte grüne Jacke hat. Ein paar Blocks weiter hinten ist mir ein Laden aufgefallen, der alte Army-Sachen verkauft.
»Ich erkläre dir alles, wenn wir dort sind«, ruft er über die Schulter zurück. »Komm schon.«
Ich weiß nicht warum, aber ich folge ihm.
Er fährt einen Ford Tempo, der in mindestens sechs verschiedenen Grautönen lackiert ist und sich anhört wie ein sehr wütendes Kind, das in der Badewanne Motorboot spielt. Er fährt mich zu einem kleinen Lokal namens »The Sushi Bowl«, das von außen absolut beschissen aussieht, drinnen aber gar nicht so übel ist. Die Kellnerin fragt, ob wir lieber traditionell oder normal sitzen wollen. Ich sehe mich um und entdecke niedrige Tische mit Matten und Kissen.
»Normal«, entscheide ich rasch, ehe der Verrückte mit den Army-Klamotten etwas sagen kann. Ich habe noch nie auf den Knien hockend gegessen und nicht unbedingt Lust, auch noch so komisch auszusehen, wie ich mich gerade fühle. Als ich dem Typen erkläre, dass ich auch noch nie Sushi gegessen habe, bestellt er für uns beide, was meine Desorientiertheit keineswegs beilegt. Ich fühle mich wie in einem dieser Wachträume,
in denen man sich dabei zusieht, wie man den größten Unsinn verzapft, und sich selbst anschreit, aber das Traum-Ich stört sich nicht daran und baut einfach weiter Mist.
Der Typ lächelt wie ein Idiot. »Ich hab dich heute mit Carmel Jones gesehen«, sagt er. »Du verschwendest wirklich keine Zeit.«
»Was willst du?«, frage ich.
»Ich will dir nur helfen.«
»Ich brauche keine Hilfe.«
»Du hast schon Hilfe bekommen.« Er beugt sich vor, als das Essen serviert wird. Zwei Teller voller kreisrunder Geheimnisse, eine Hälfte frittiert, die andere mit kleinen orangefarbenen Punkten garniert. »Probier mal«, sagt er.
»Was ist das?«
»Philadelphiarolle.«
Skeptisch beäuge ich den Teller. »Was ist das orangefarbene Zeug?«
»Kabeljaurogen.«
»Was, zum Teufel, ist Kabeljaurogen?«
»Dorscheier.«
»Nein, danke.« Ich bin echt dankbar, dass auf der anderen Straßenseite ein McDonald’s ist. Fischeier. Was für ein Typ ist das bloß?
»Ich bin Thomas Sabin.«
»Hör auf damit.«
Er grinst. »Tut mir leid. Aber deine Gedanken sind manchmal echt leicht zu lesen. Ich weiß, es ist unhöflich. Und ehrlich gesagt, kann ich das auch nicht
ständig.« Er stopft sich einen mit Fischeiern verzierten Ring aus rohem Fisch in den Mund. Ich versuche, nicht einzuatmen, während er kaut. »Aber ich habe dir tatsächlich schon geholfen. Erinnerst du dich an die Trojanerarmee? Die Jungs, die heute hinter dir gestanden haben. Was glaubst du wohl, wer dir die Warnung geschickt hat? Das war ich. Gern geschehen.«
Die Trojanerarmee. Genau das habe ich gedacht, als Mike & Co beim Essen hinter mir aufmarschiert sind. Im Nachhinein ist mir allerdings nicht mehr ganz klar, warum ich das gedacht habe. Ich habe sie nur aus dem Augenwinkel beobachtet. Die Trojanerarmee. Der Typ hat mir den Gedanken so elegant eingegeben wie einen Notizzettel, den man an einem auffälligen Ort auf den Boden legt.
Jetzt redet er darüber, dass es gar nicht so einfach sei, Gedanken zu übertragen. Es sei sogar sehr anstrengend für ihn gewesen. Er tut so, als sei er mein persönlicher Schutzengel oder so was.
»Wofür sollte ich dir dankbar sein? Für den griffigen Namen? Du hast mir dein persönliches Werturteil
Weitere Kostenlose Bücher