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Anna im blutroten Kleid: Roman (German Edition)

Anna im blutroten Kleid: Roman (German Edition)

Titel: Anna im blutroten Kleid: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kendare Blake
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eingepflanzt. Jetzt frage ich mich, ob die Typen wirklich Idioten waren, oder ob ich das nur gedacht habe, weil du es mir vorgekaut hast.«
    »Glaub mir, du würdest mir sofort zustimmen. Und du solltest nicht so viel mit Carmel Jones reden. Jedenfalls noch nicht. Sie hat sich erst letzte Woche von dem Volltrottel Mike Andover getrennt. Es ist bekannt, dass er Leute angefahren hat, nur weil sie sie angesehen haben, als sie neben ihm im Auto saß.«
    Ich mag diesen Jungen nicht. Er ist ziemlich überheblich. Andererseits meint er es ernst und hat bestimmt positive Absichten, was mich etwas milder stimmt. Aber wenn er mich weiterhin beim Denken belauscht, schlitze ich ihm die Reifen auf.
    »Ich brauche deine Hilfe nicht«, wehre ich ab. Ich wünschte, ich müsste ihm nicht mehr beim Essen zusehen. Aber das frittierte Zeug sieht eigentlich gar nicht so schlecht aus und riecht auch ganz gut.
    »Und ob. Du hast bemerkt, dass ich etwas seltsam bin. Wann bist du hergekommen? Vor siebzehn Tagen?«
    Ich nicke betreten. Genau vor siebzehn Tagen sind wir in Thunder Bay eingetroffen.
    »Das dachte ich mir. Seit siebzehn Tagen habe ich nämlich grässliche Kopfschmerzen. Die Sorte Kopfschmerzen, die pocht und sich gemütlich hinter dem linken Auge einrichtet. Alles schmeckt salzig. Es geht erst jetzt weg, wo wir miteinander reden.« Er wischt sich den Mund ab und wird auf einmal wieder ganz ernst. »Es ist schwer zu glauben, aber du musst es akzeptieren. Ich bekomme diese Kopfschmerzen nur, wenn etwas Schlimmes passieren wird, und so übel war es bisher noch nie.«
    Ich lehne mich seufzend zurück. »Wobei willst du mir denn überhaupt helfen? Was glaubst du, wer ich bin?« Natürlich kenne ich die Antworten bereits, aber es kann nicht schaden, mich zu vergewissern. Außerdem fühle ich mich im Nachteil und bin verunsichert. Mir wäre wohler, wenn ich diesen inneren Monolog
einfach abschalten könnte. Vielleicht sollte ich gleich von vornherein alles aussprechen. Oder in Bildern denken: Kätzchen spielen mit Garnknäueln, der Hotdog-Verkäufer an der Ecke. Der Hotdog-Verkäufer hält ein Kätzchen im Arm.
    Thomas wischt sich mit der Serviette den Mundwinkel ab. »Du hast da ein hübsches Stück Edelstahl im Rucksack«, sagt er. »Die alte Dame mit den toten Augen war sehr beeindruckt.« Er presst die Essstäbchen zusammen und schiebt sich ein Stück von dem frittierten Zeug in den Mund. Dann redet er beim Kauen, und ich wünschte, er täte es nicht. »Ich würde sagen, du bist eine Art Gespensterjäger, und ich weiß, dass du wegen Anna hier bist.«
    Wahrscheinlich sollte ich ihn fragen, woher er das weiß. Aber ich verzichte darauf. Ich will nicht mehr mit ihm reden. Er weiß sowieso schon zu viel über mich.
    Das verdammte Gänseblümchen Bristol. Ich werde ihm den Arsch aufreißen, weil er mich hierhergeschickt hat, wo eine telepathische Klette auf der Lauer liegt. Er hat mich nicht einmal gewarnt.
    In Thomas Sabins bleichem Gesicht entsteht unterdessen ein verschlagenes kleines Grinsen. Er schiebt sich die Brille auf der Nase hoch. Die Bewegung ist sehr schnell und routiniert, er macht das wohl öfter. Die unsteten blauen Augen sind viel zu selbstbewusst, als könnte er sich mit seinen Intuitionen niemals irren. Und wer weiß, wie viele meiner Gedanken er schon gelesen hat.
    Spontan schnappe ich mir einen frittierten Fischring vom Teller und schiebe ihn mir in den Mund. Er ist mit einer süßen, aromatischen Soße gewürzt und schmeckt überraschend gut, deftig und saftig. Die Fischeier rühre ich nicht an. So langsam reicht es mir. Wenn ich ihn nicht überzeugen kann, dass ich nicht der bin, für den er mich hält, will ich ihn wenigstens vom hohen Ross stürzen und in die Flucht schlagen.
    Ich runzle verwirrt die Stirn.
    »Was für eine Anna?«, frage ich.
    Er blinzelt, und als er zu stottern beginnt, beuge ich mich vor und stütze mich auf die Ellenbogen. »Hör mir genau zu, Thomas«, sage ich. »Ich bin dir dankbar für den Tipp. Aber es gibt keine Kavallerie, und bei mir sind keine Stellen frei. Hast du das verstanden?« Ehe er protestieren kann, denke ich angestrengt an alle grässlichen Dinge, die ich je getan habe, an die unzähligen Körperöffnungen, aus denen Wesen geblutet haben, an die Verbrennungen und die Entstellungen. Ich schicke ihm Peter Carvers Augen, die in den Höhlen explodiert sind. Ich schicke ihm den Anhalter vom County 12, aus dem schwarze Brühe suppt, und die sich abschälende Haut, die trocken

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