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Anna im blutroten Kleid: Roman (German Edition)

Anna im blutroten Kleid: Roman (German Edition)

Titel: Anna im blutroten Kleid: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kendare Blake
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sei deine liebe Mutter, aber sie ist keine Okkultistin. Sie ist eine begabte weiße Hexe, hat aber an dem, was hier nötig ist, kein Interesse. Du brauchst keinen Kreis aus Blumen und kein Chrysanthemenöl. Du brauchst Hühnerkrallen, ein Pentagramm als Schutzwall, eine Weissagung im Spiegel oder im Wasser und einen Kreis heiliger Steine.«
    »Und dazu den passenden Hexer.«
    »Ich bin sicher, dass du nach all den Jahren keine Probleme haben wirst, einen zu finden.«
    Obwohl ich eine Grimasse schneide, sind mir bereits zwei Kandidaten eingefallen: Thomas und Morfran Starling.
    »Lass mich noch etwas heraussuchen, Theseus. Ich schicke dir in ein oder zwei Tagen eine E-Mail und beschreibe das Ritual.«
    »Alles klar, Gideon. Vielen Dank.«
    »Keine Ursache. Theseus?«
    »Ja?«
    »Geh inzwischen in die Bibliothek und versuche, etwas über den Tod des Mädchens herauszufinden. Wissen ist Macht, das weißt du ja.«
    Ich lächle. »Genau. Die Beinarbeit.« Ich lege auf. Er hält mich für ungeschliffen und denkt, ich könne nur die Klinge schwingen, aber die Wahrheit ist, dass ich mich durchaus umgesehen und recherchiert habe, bevor ich überhaupt den Athame in die Hand genommen habe.
    Nach Dads Ermordung hatte ich viele Fragen. Das Problem war nur, dass niemand die Antworten kannte. Oder vielmehr, niemand wollte mir die Antworten geben. Also habe ich mich auf eigene Faust umgesehen. Gideon und meine Mutter haben gepackt, und wir sind ziemlich schnell aus dem Haus in Baton Rouge ausgezogen. Vorher habe ich aber noch einen Ausflug zu der heruntergekommenen Plantage unternommen, wo mein Vater gestorben ist.
    Es war ein verdammt hässliches Haus. So wütend ich auch war, ich wollte nicht da rein. Wenn ein unbelebtes Objekt starren und knurren kann, dann hat das Haus genau dies getan. Ich war damals sieben und stellte mir vor, wie es die Ranken zur Seite zog, wie es das Moos wegwischte und die Zähne fletschte. Fantasie ist doch was Wunderbares, nicht wahr?
    Meine Mom und Gideon hatten das Haus ein paar Tage vorher gründlich gereinigt, Runen geworfen, Kerzen angezündet und dafür gesorgt, dass mein Dad Ruhe fand und dass die Geister fort waren. Doch als ich die Veranda betrat, kamen mir die Tränen. Mein
Herz sagte mir, dass mein Dad immer noch da war, dass er sich vor ihnen versteckte und auf mich wartete, und dass er jeden Moment die Tür öffnen und mir sein strahlendes, väterliches Lächeln schenken würde. Die Augen wären natürlich verschwunden, und an den Seiten und auf den Armen hätte er große, halbmondförmige Wunden. Es klingt dumm, aber ich glaube, ich habe noch mehr geweint, als ich die Tür geöffnet und gesehen habe, dass er gar nicht dort war.
    Ich atme den Duft von Tee und Lavendel tief ein und kehre langsam in meinen eigenen Körper zurück. Wenn ich mich an den Tag erinnere, an dem ich das Haus erkundet habe, bekomme ich heute noch Herzrasen. Hinter der Eingangstür bemerkte ich Kampfspuren und wandte mich ab. Ich wollte Antworten finden, mir aber nicht vorstellen müssen, wie mein Dad grausam zusammengeschlagen worden war. Ich mochte mir nicht ausmalen, er könne Angst gehabt haben. Ich ging am zerbrochenen Treppengeländer vorbei und hielt instinktiv auf den Kamin zu. Die Räume rochen nach altem, halb verfaultem Holz. Außerdem nahm ich einen frischeren Blutgeruch wahr. Ich kann nicht sagen, woher ich wusste, wie Blut riecht, und warum ich direkt zum Kamin gegangen bin.
    Jedenfalls war im Kamin nichts außer jahrzehntealter Holzkohle und Asche. Aber dann sah ich es. Nur eine kleine Ecke, schwarz wie Holzkohle und doch anders. Glatter. Es war auffällig und unheildrohend. Ich griff danach und zog es aus der Asche: ein zierliches schwarzes Kreuz, etwa zehn Zentimeter groß.
Darum herum war eine schwarze Schlange gewunden. Sie war sorgfältig aus einem Material gewoben, das ich sofort als Menschenhaar erkannte.
    Die Gewissheit, die ich bei der Berührung des Kreuzes empfand, war ebenso stark wie jene, als ich sieben Jahre später das Messer meines Vaters in die Hand nahm. Ich wusste, dass die Kraft, die meinen Vater angetrieben hatte, diese magische Fähigkeit, die es ihm erlaubte, totes Fleisch zu zerfetzen und aus unserer Welt zu verjagen, auch durch meine Adern strömte.
    Als ich Gideon und meiner Mutter das Kreuz zeigte und ihnen sagte, was ich getan hatte, waren sie außer sich. Ich hatte damit gerechnet, dass sie mich trösten, mich wie ein Baby wiegen und mich fragen würden, ob alles in Ordnung

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