Anna im blutroten Kleid: Roman (German Edition)
blinzelt verdutzt. »Ist deine Mom nicht eine Hexe?«
»Kennst du einen schwarzen Hexer?«
Er windet sich ein wenig und zuckt mit den Achseln. »Na ja, mich selbst zum Beispiel. Aber ich bin nicht besonders gut. Ich kann nur Barrieren bauen und die Elemente für mich arbeiten lassen und so weiter.
Morfran ist besser, aber er praktiziert kaum noch.« Er biegt links ab und hält vor dem Antiquitätenladen. Im Schaufenster sehe ich den ergrauten schwarzen Hund, der die Nase an die Scheibe presst und mit dem wedelnden Schwanz auf den Boden klopft.
Wir gehen rein und finden Morfran an der Theke, wo er einen neuen Ring taxiert. Es ist ein schönes, altes Stück mit einem großen, schwarzen Stein.
»Weißt du etwas über Hexerei und Exorzismus?«, frage ich ihn.
»Klar«, antwortet er, ohne den Blick zu heben. Der schwarze Hund hat Thomas begrüßt und lehnt sich schwer an ihn. »Dieses Haus war höllisch verseucht, als ich es gekauft habe. Manchmal treibt sich heute noch etwas herum. Außerdem kriege ich viele Sachen rein, an denen die Vorbesitzer noch sehr hängen, wenn du verstehst, was ich meine.«
Ich sehe mich im Laden um. Natürlich, in einem Antiquitätenladen treibt sich immer der eine oder andere Geist herum. Mein Blick fällt auf einen hohen, ovalen Spiegel, der in eine Eichenkommode eingearbeitet ist. Wie viele Gesichter haben da hineingestarrt? Wie viele tote Spiegelbilder warten dort und tuscheln im Dunkeln miteinander?
»Kannst du mir ein paar Sachen besorgen?«, frage ich.
»Was denn?«
»Ich brauche Hühnerkrallen, einen Kreis geweihter Steine, ein Bannpentagramm und ein wenig Divinationskram.«
Er sieht mich böse an. »Divinationskram? Geht’s auch genauer?«
»Ich weiß die Einzelheiten noch nicht. Kannst du das besorgen oder nicht?«
Morfran zuckt mit den Achseln. »Ich schicke Thomas mit einem Beutel zum Lake Superior. Er kann dreizehn Steine aus dem See fischen. Etwas Heiligeres wirst du kaum finden. Die Hühnerkrallen muss ich bestellen, und was den Divinationskram betrifft, so gehe ich jede Wette ein, dass du einen Spiegel oder so etwas brauchst, vielleicht auch eine Wahrsageschale mit Weihwasser.«
»Mit der Schale blickst du in die Zukunft«, wendet Thomas ein. »Was soll er damit?«
»Mit der Schale kannst du sehen, was immer du sehen willst«, klärt Morfran ihn auf. »Und das Bannpentagramm halte ich für übertrieben. Aber ein wenig Weihrauch als Schutz oder ein paar Kräuter wären gut. Das sollte reichen.«
»Du weißt doch, womit wir es hier zu tun haben, oder?«, werfe ich ein. »Sie ist kein normaler Geist, sie ist ein Wirbelsturm. Übertreibung ist mir sehr recht.«
»Hör mal, Junge, wir reden hier nur über eine Art aufgemotzte Séance, oder? Wir beschwören den Geist und binden ihn im Steinkreis. Mit der Wahrsageschale bekommst du deine Antworten. Sehe ich das richtig?«
Ich nicke. Wenn er es so formuliert, klingt es sehr einfach. Aber für jemanden, der sich nicht mit Zaubersprüchen auskennt und am vergangenen Abend wie
ein Gummiball herumgeworfen wurde, stellt sich die Sache etwas schwieriger dar.
»Ein Freund in London kümmert sich um die Einzelheiten. In ein paar Tagen müsste ich den Spruch haben. Vielleicht brauche ich dann noch ein paar Zutaten.«
Morfran zuckt mit den Achseln. »Die beste Zeit, einen Bindespruch zu wirken, ist sowieso die abnehmende Mondphase«, erklärt er. »Demnach hast du noch anderthalb Wochen Zeit, und das ist mehr als genug.« Mit zusammengekniffenen Augen starrt er mich an und sieht seinem Enkelsohn auf einmal sehr ähnlich. »Sie setzt dir ganz schön zu, was?«
»Nicht mehr lange.«
Die Stadtbücherei ist nicht sehr beeindruckend, aber vermutlich bin ich verwöhnt, weil ich bei Dad und seinen Freunden riesige Sammlungen dicker, staubiger Wälzer gesehen habe. Allerdings gibt es eine recht gut bestückte heimatgeschichtliche Abteilung, und darauf kommt es an. Da ich zunächst Carmel finden und die Biologiearbeit mit ihr absprechen muss, schicke ich Thomas zum Computer, wo er Hinweise auf Anna und ihre Ermordung sammeln soll.
Carmel wartet hinter den Regalen an einem Tisch.
»Was macht Thomas hier?«, fragt sie, als ich mich setze.
»Er recherchiert für eine Hausarbeit.« Ich zucke mit den Achseln. »Worum geht es denn in Bio?«
Sie grinst. »Taxonomie.«
»Abartig und langweilig.«
»Wir müssen eine Zeichnung anfertigen, die vom Stamm bis zur Art reicht, einmal mit dem Einsiedlerkrebs und dann mit dem Oktopus.« Sie
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