Anna Karenina
bringen, eilig von Petersburger Bekannten zu reden anfing, und wenn sie sich ferner noch
daran erinnerte, daß Wronski so ganz ohne äußeren Anlaß im Garten über seine Tätigkeit zu reden begonnen hatte, so
mußte sie notwendig auf den Gedanken kommen, daß über diesen Punkt, die Tätigkeit für das Gemeinwohl, ein geheimer
Zwist zwischen Anna und Wronski bestand.
Die Speisen, die Weine, die Bedienung, alles war sehr gut; aber alles war von jener Art, die Darja Alexandrowna
von großen Mittagsgesellschaften und Bällen her kannte, Veranstaltungen, deren sie sich bereits entwöhnt hatte, und
alles trug den bei solchen Veranstaltungen üblichen Charakter des Unpersönlichen und Förmlichen; und daher machte
alles dies an einem gewöhnlichen Tage und in so kleinem Kreise auf sie einen unangenehmen Eindruck.
Nach dem Essen saß die Gesellschaft ein Weilchen auf der Terrasse. Dann wurde Tennis gespielt. Die Mitspielenden
teilten sich in zwei Parteien und stellten sich auf dem sorgsam geebneten und festgestampften Tennisplatz zu beiden
Seiten eines ausgespannten Netzes mit vergoldeten Pfosten auf. Darja Alexandrowna machte einen Versuch
mitzuspielen; aber lange Zeit vermochte sie das Spiel nicht zu verstehen, und als sie es schließlich doch glücklich
verstanden hatte, war sie schon so müde, daß sie sich mit der Prinzessin Warwara hinsetzte und sich darauf
beschränkte, den Spielenden zuzuschauen. Ihr Partner, Tuschkewitsch, hörte gleichfalls auf; die übrigen aber
setzten das Spiel noch lange fort. Swijaschski und Wronski spielten beide sehr gut und nahmen die Sache sehr ernst.
Sie verfolgten mit scharfem Auge den ihnen zugeschleuderten Ball, liefen ohne Übereilung und ohne Zaudern gewandt
zu ihm hin, warteten, bis er wieder aufsprang, und schleuderten ihn dann durch einen geschickten, sicheren Schlag
mit dem Schläger über das Netz zurück. Weslowski spielte schlechter als die anderen. Er wurde zu hitzig, aber dafür
brachte er durch seine Heiterkeit Leben in das Spiel. Sein Lachen und Schreien verstummte keinen Augenblick. Er
hatte, ebenso wie die andern Herren, mit Erlaubnis der Damen seinen Rock ausgezogen, und seine volle, hübsche
Gestalt in den weißen Hemdärmeln, mit dem roten, schweißbedeckten Gesichte und den ruckartigen Bewegungen prägte
sich unwillkürlich geradezu dem Gedächtnis ein.
Als sich Darja Alexandrowna an diesem Abend schlafen legte, sah sie, sobald sie nur die Augen zumachte, Wasenka
Weslowski vor sich, wie er auf dem Tennisplatz umherrannte.
Während des Spieles aber war Darja Alexandrowna nicht eigentlich vergnügt. Es mißfiel ihr der auch hierbei
fortdauernde Ton der Neckerei zwischen Wasenka Weslowski und Anna, auch das Unnatürliche, das sich stets fühlbar
macht, wenn Erwachsene allein, ohne daß Kinder dabei sind, ein Kinderspiel spielen. Um aber bei den andern nicht
Anstoß zu erregen und um die Zeit irgendwie auszufüllen, nahm sie, sobald sie sich wieder erholt hatte, von neuem
an dem Spiel teil und tat so, als ob sie sehr vergnügt wäre. Diesen ganzen Tag über hatte sie fortwährend die
Empfindung, als ob sie mit besseren Schauspielern als sie selbst zusammen Theater spiele und durch ihr schlechtes
Spiel die ganze Sache verderbe.
Sie war mit der Absicht gekommen, wenn sie sich wohl fühle, zwei Tage zu bleiben. Aber gleich am Abend beim
Spiel beschloß sie, am folgenden Tage wieder zurückzufahren. Jene so leidvollen mütterlichen Sorgen, gegen die sie
auf der Herfahrt einen solchen Haß empfunden hatte, erschienen ihr jetzt, nach einem einzigen Tage, den sie ohne
diese Sorgen verlebt hatte, in einem ganz andern Lichte und hatten für sie etwas Lockendes.
Als Darja Alexandrowna nach dem Abendtee und einer nächtlichen Kahnfahrt allein in ihr Zimmer trat, ihr Kleid
auszog und sich hinsetzte, um ihr schon recht dünn gewordenes Haar für die Nacht zurechtzumachen, da empfand sie
eine große Erleichterung.
Es war ihr sogar ein unangenehmer Gedanke, daß in wenigen Augenblicken Anna zu ihr kommen werde. Sie wäre am
liebsten mit ihren Gedanken allein geblieben.
Fußnoten
1 (russ.) Einnahmen.
2 (russ.) Mühen, Umstände.
3 (frz.) Ich verehre das Deutsche.
4 (frz.) Hören Sie auf.
5 (frz.) Aber verzeihen Sie, er ist ein
klein wenig verrückt.
6 (frz.) Es dauert nicht lange.
23
Dolly wollte sich schon hinlegen, als Anna im Nachtkleide zu ihr ins Zimmer trat.
Im Laufe des Tages hatte Anna mehrmals dazu angesetzt, von den Dingen,
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