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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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die ihre Seele beschäftigten, zu reden,
    hatte aber jedesmal nach einigen wenigen Worten wieder davon Abstand genommen. »Nachher, wenn wir miteinander
    allein sind, wollen wir über alles sprechen; ich habe dir so viel, so viel mitzuteilen«, hatte sie gesagt.
    Jetzt waren sie nun miteinander allein; aber Anna wußte nicht, wovon sie reden sollte. Sie saß am Fenster,
    blickte Dolly an und durchmusterte in ihrem Gedächtnisse jenen ganzen Vorrat von vertraulicheren Gesprächsstoffen,
    der ihr vorher unerschöpflich erschienen war, und fand nichts Geeignetes. Es schien ihr in diesem Augenblick, als
    habe sie schon alles gesagt.
    »Nun, wie geht es denn Kitty?« begann sie mit einem schweren Seufzer und blickte Dolly schuldbewußt an. »Sage
    mir die Wahrheit, Dolly, ist sie auch nicht böse auf mich?«
    »Ob sie auf dich böse ist? Nein!« antwortete Darja Alexandrowna lächelnd.
    »Aber sie haßt mich und verachtet mich?«
    »O nein! Aber du weißt, verzeihen kann man so etwas nicht.«
    »Ja, ja«, sagte Anna, indem sie sich abwandte und durch das offene Fenster blickte. »Aber ich hatte keine
    Schuld. Und wer hatte Schuld? Was heißt dabei überhaupt Schuld? Konnte es denn anders kommen? Nun, wie denkst du
    darüber? Ware es etwa möglich gewesen, daß du Stiwa nicht geheiratet hättest?«
    »Das weiß ich wirklich nicht. Aber eines möchte ich von dir wissen ...«
    »Ja, ja, aber wir sind noch nicht mit Kitty fertig. Ist sie glücklich? Er soll ja ein guter Mensch sein.«
    »›Gut‹ ist zuwenig gesagt. Ich kenne keinen besseren Menschen.«
    »Ach, das freut mich! Das freut mich außerordentlich! ›Gut‹ ist zuwenig gesagt«, wiederholte sie.
    Dolly lächelte.
    »Aber nun erzähle mir von dir selbst«, sagte Dolly. »Wir haben so viel miteinander zu reden. Ich sprach heute
    auch schon mit ...« Sie wußte nicht, wie sie ihn nennen sollte. Es widerstrebte ihr, ihn den Grafen, und es
    widerstrebte ihr, ihn Alexei Kirillowitsch zu nennen.
    »Mit Alexei«, half Anna ihr ein. »Ich weiß, was ihr miteinander gesprochen habt. Aber ich wollte dich geradezu
    fragen: Was denkst du von mir und von meinem Leben?«
    »Wie kann ich das so plötzlich sagen? Ich weiß es wirklich nicht.«
    »Nein, nein, sage es mir doch ... Du siehst ja nun, wie ich lebe. Aber vergiß nicht, daß du uns im Sommer
    siehst, wo du zu Besuch gekommen bist und wir auch sonst Gäste haben ... Aber als wir zu Frühlingsanfang herkamen,
    da haben wir ganz einsam gelebt, und wir werden auch später wieder ganz einsam leben, und etwas Besseres wünsche
    ich mir gar nicht. Aber stelle dir vor, daß ich ganz allein, ohne ihn, hier leben werde, ganz allein, und das wird
    geschehen ... Ich ersehe das aus vielen Anzeichen, daß das häufig vorkommen wird und daß er die Hälfte der Zeit
    außerhalb des Hauses zubringen wird.« Sie stand auf und setzte sich näher an Dolly heran. »Selbstverständlich« (sie
    ließ Dolly, die etwas erwidern wollte, nicht zu Worte kommen), »selbstverständlich werde ich ihn nicht mit Gewalt
    zurückhalten. Das tue ich auch jetzt nicht. In nächster Zeit findet ein Rennen statt; dabei laufen auch Pferde von
    ihm; er wird hinfahren. Ich freue mich darüber sehr. Aber denke nun dabei auch einmal an mich, stelle dir meine
    Lage vor ... Aber was hat es für Zweck, davon zu reden!« Sie lächelte. »Also worüber hat er denn mit dir
    gesprochen?«
    »Er sprach mit mir über einen Punkt, über den ich auch aus eigenem Antriebe mit dir reden wollte, und es wird
    mir leicht, seinen Wunsch bei dir zu befürworten; er sprach darüber, ob denn keine Möglichkeit sei ... ob es sich
    nicht machen ließe ...« Darja Alexandrowna stockte, »deine Lage zu ändern, zu verbessern ... Du weißt, wie ich
    darüber denke ... Aber dennoch solltest du ihn, wenn es möglich ist, heiraten ...«
    »Also eine Scheidung?« erwiderte Anna. »Weißt du wohl, daß die einzige Frau, die mich in Petersburg besucht hat,
    Betsy Twerskaja war? Du kennst sie ja wohl? Au fond c'est la femme la plus dépravée qui existe. 1 Sie hat ein Verhältnis mit Tuschkewitsch gehabt und ihren Mann
    auf die schändlichste Weise betrogen. Und diese Frau hat mir zu verstehen gegeben, daß sie mich nicht kennen will,
    solange meine Lage ungeregelt ist. Glaube ja nicht, daß ich dich mit ihr auf gleiche Stufe stelle; ich kenne dich,
    mein Herz. Aber es fiel mir unwillkürlich ein ... Nun also, was hat er zu dir gesagt?« fragte sie noch einmal.
    »Er hat mir gesagt, er leide

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