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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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wiederholte ein über das andere Mal diese Worte, die ihm
    unwillkürlich auf die Lippen kamen. Und trotz seines Unglaubens sprach er diese Worte nicht mit den Lippen allein.
    Jetzt, in diesem Augenblick, spürte er, daß alle seine Zweifel, ja die Unfähigkeit, deren er sich bewußt war,
    Glauben und Verstand miteinander zu vereinigen, ihn in keiner Weise hinderten, sich an Gott zu wenden. All das war
    jetzt wie Staub von seiner Seele hinweggeflogen. An wen sollte er sich denn auch sonst wenden, als an ihn, in
    dessen Hand, wie er fühlte, er selbst und seine Seele und seine Liebe lag?
    Der Wagen war noch nicht bereit; aber da Ljewin seine gesamte körperliche und geistige Kraft mit energischer
    Anspannung auf das gerichtet fühlte, was er zu besorgen hatte, so ging er, um nur ja keinen Augenblick zu
    verlieren, ohne auf den Wagen zu warten, zu Fuß und gab Kusma Befehl, ihm nachzufahren.
    An der Ecke begegnete er einer in schnellem Tempo fahrenden Nachtdroschke. In dem kleinen Schlitten saß, in
    einer Samtjacke, ein Tuch um den Kopf gewickelt, Jelisaweta Petrowna. »Gott sei Dank, Gott sein Dank!« sagte er,
    als er zu seiner größten Freude ihren kleinen Blondkopf erkannte, der jetzt einen eigentümlich ernsten, ja beinahe
    strengen Ausdruck trug. Ohne den Kutscher anhalten zu lassen, lief er wieder heimwärts neben ihr her.
    »Also seit ungefähr zwei Stunden? Noch nicht länger?« fragte sie. »Sie werden Peter Dmitrijewitsch zu Hause
    treffen; aber Sie brauchen ihn nicht zur Eile anzutreiben. Holen Sie doch auch Opium aus der Apotheke.«
    »Also Sie glauben, daß es gut vonstatten gehen kann? Herr, erbarme dich und hilf uns!« sagte Ljewin, der gerade
    sein Pferd aus dem Torweg herauskommen sah. Er sprang in den Schlitten, setzte sich neben Kusma und hieß ihn zum
    Arzt fahren.

14
    Der Arzt war noch nicht aufgestanden, und der Diener erklärte, der Doktor habe sich erst spät hingelegt und
    verboten, ihn zu wecken; er werde aber wohl bald aufstehen. Der Diener putzte die Lampenzylinder und schien von
    dieser Arbeit sehr in Anspruch genommen zu sein. Diese Sorgfalt des Dieners für die Lampenzylinder und dessen
    Gleichgültigkeit gegen das, was sich in seinem, Ljewins, Hause abspielte, setzten Ljewin anfangs in Erstaunen; aber
    gleich darauf sagte er sich nach kurzer Überlegung, daß ja niemand seine Empfindungen kenne oder zu kennen
    verpflichtet sei und daß es daher um so nötiger sei, mit Ruhe, Überlegung und Entschiedenheit zu handeln, um in
    diese Mauer von Gleichgültigkeit Bresche zu legen und zum Ziele zu gelangen.›Nichts überhasten und nichts
    versäumen!‹ sagte sich Ljewin. Er fühlte, wie seine körperliche und geistige Kraft sich immer energischer auf das
    richtete, was er zu besorgen hatte.
    Als Ljewin hörte, daß der Arzt noch nicht aufgestanden sei, blieb er unter mancherlei Plänen, die ihm in der
    Eile durch den Kopf gingen, bei folgendem stehen: Kusma sollte mit einem Zettelchen zu einem anderen Arzte laufen,
    und er selbst wollte nach der Apotheke fahren und das Opium holen, und wenn bei seiner Rückkehr der Arzt immer noch
    nicht aufgestanden sei, dann wollte er ihn unter allen Umständen wecken, entweder durch Bestechung des Dieners
    oder, wenn dieser sich nicht darauf einließe, mit Gewalt.
    In der Apotheke klebte der hagere Provisor mit derselben Gleichgültigkeit, mit der der Diener seine
    Lampenzylinder gereinigt hatte, mit Siegelmarken Pülverchen für einen darauf wartenden Kutscher zu; das Opium zu
    verabreichen, weigerte er sich. Bemüht, nicht die Geduld zu verlieren und nicht hitzig zu werden, nannte ihm Ljewin
    die Namen des Arztes und der Hebamme, erklärte ihm, wozu er das Opium nötig habe und suchte ihn auf diese Weise zu
    überreden. Der Provisor fragte nach dem hinter einer niedrigen Zwischenwand gelegenen Raume hin jemand auf deutsch
    um Rat, ob er das Opium verabfolgen solle, und langte, als er eine bejahende Antwort erhalten hatte, nach einem
    Fläschchen und einem Trichter, goß langsam aus einer großen Flasche eine kleine voll, klebte einen Zettel darauf,
    versiegelte sie trotz Ljewins Bitte, dies doch zu unterlassen, und wollte sie noch einwickeln. Dies aber konnte
    Ljewin nicht mehr aushalten; mit einem entschlossenen Griff riß er ihm das Fläschchen aus den Händen und lief durch
    die große Glastür hinaus. Als er wieder zur Wohnung des Arztes kam, war dieser noch nicht aufgestanden, und der
    Diener, der jetzt damit beschäftigt war, einen Teppich zu

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