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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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Hände gerichtet, vergegenwärtigte sie
    sich mit allen Einzelheiten die Szene der gestrigen Versöhnung und seine leidenschaftlichen Liebkosungen. ›Diese
    Liebkosungen, ganz dieselben Liebkosungen hat er auch anderen Frauen zuteil werden lassen und wird dies auch in
    Zukunft tun,‹ dachte sie.
    »Du liebst deine Mutter gar nicht. Das sind alles nur leere Worte, Worte, Worte!« erwiderte sie und sah ihn mit
    einem haßerfüllten Blicke an.
    »Wenn es so steht, dann müssen wir ...«
    »Dann müssen wir einen Entschluß fassen, und ich habe meinen Entschluß gefaßt«, unterbrach sie ihn und wollte
    hinausgehen; aber in diesem Augenblick trat Jaschwin ins Zimmer. Anna begrüßte ihn und blieb stehen.
    Warum sie, während in ihrer Seele ein furchtbarer Sturm tobte und sie fühlte, daß sie an einem Wendepunkt ihres
    Lebens stehe, wo ihr Entschluß die entsetzlichsten Folgen haben konnte, warum sie sich in diesem Augenblick vor
    einem fremden Menschen verstellen mußte, der früher oder später ja doch alles erfuhr, das wußte sie nicht; aber sie
    zwang sofort den Sturm in ihrem Innern zur Ruhe, setzte sich wieder und begann eine Unterhaltung mit Jaschwin.
    »Nun, wie stehen Ihre Angelegenheiten? Haben Sie die Spielschuld bezahlt bekommen?« fragte sie den Gast.
    »Nun, es geht; alles werde ich wohl kaum bekommen, und Mittwoch muß ich abreisen. Und wann reisen Sie?« fragte
    Jaschwin; er blinzelte Wronski mit halb zugekniffenen Augen an und hatte offenbar gemerkt, daß ein Streit
    vorhergegangen war.
    »Wahrscheinlich übermorgen«, antwortete Wronski.
    »Sie haben es ja auch schon lange vor.«
    »Aber jetzt ist es beschlossene Sache«, sagte Anna und blickte Wronski gerade in die Augen, mit einem Blick, der
    ihm sagte, er möge jeden Gedanken an die Möglichkeit einer Versöhnung aufgeben.
    »Tut Ihnen denn dieser unglückliche Pjewzow nicht leid?« fuhr sie in ihrem Gespräche mit Jaschwin fort.
    »Ich habe mich noch nie gefragt, Anna Arkadjewna, ob jemand, der an mich verliert, mir leid tut oder nicht. Mein
    ganzes Vermögen steckt hier«, er zeigte auf seine Seitentasche, »und in diesem Augenblick bin ich ein reicher Mann;
    aber heute gehe ich wieder in den Klub und komme vielleicht als Bettler heraus. Wer sich mit mir zum Spiel
    hinsetzt, der will mich bis aufs Hemd ausplündern, geradeso wie ich ihn. Nun, da ringen wir eben miteinander, und
    darin besteht das Vergnügen.«
    »Wenn Sie nun aber verheiratet wären, wie müßte dann Ihrer Frau zumute sein?« meinte Anna.
    Jaschwin lachte.
    »Darum habe ich eben nicht geheiratet und es auch nie vorgehabt.«
    »Und Helsingfors?« fragte Wronski, indem er sich gleichfalls an dem Gespräch beteiligte und Anna anblickte, die
    mit lächelndem Gesicht dasaß. Aber als Anna seinem Blick begegnete, nahm ihr Gesicht auf einmal einen kalten,
    strengen Ausdruck an, als ob sie zu ihm sagen wollte: ›Ich habe das Vorhergegangene nicht vergessen. Es ist alles,
    wie es war.‹
    »Haben Sie sich wirklich nie verliebt?« sagte sie zu Jaschwin.
    »Ach Gott, und wie oft! Aber achten Sie auf den Unterschied: der eine setzt sich an den Kartentisch, ist aber
    imstande, sofort aufzustehen, wenn die Zeit des Stelldicheins da ist; ich dagegen gebe mich mit der Liebe ab, aber
    nur so weit, daß ich abends zu meiner Spielpartie nicht zu spät komme. Das ist meine Stellung zu dieser Sache.«
    »Aber nach dergleichen frage ich nicht, sondern nach etwas Wirklichem, Ernstem.« Sie wollte sagen »Helsingfors«;
    aber es widerstrebte ihr, das Wort zu gebrauchen, das Wronski ausgesprochen hatte.
    In diesem Augenblick trat Woitow ein, der einen Hengst kaufen wollte; Anna stand auf und verließ das Zimmer.
    Bevor Wronski von Hause wegfuhr, kam er noch einmal zu ihr. Sie wollte zuerst so tun, als suche sie etwas auf
    dem Tische; aber dann schämte sie sich einer solchen Heuchelei und schaute ihm mit einem kalten Blick gerade ins
    Gesicht.
    »Was wünschen Sie?« fragte sie ihn auf französisch.
    »Ich wollte Gambettas Stammbaum holen; ich habe ihn verkauft«, antwortete er in einem Tone, der klarer als alle
    Worte besagte: ›Ich habe keine Zeit zu weiteren Auseinandersetzungen, und es würde ja doch zu nichts führen.‹
    ›Ich fühle mich ihr gegenüber nicht schuldig‹, dachte er. ›Wenn sie sich selbst bestrafen will, um so schlimmer
    für sie.‹ Aber als er hinausging, war es ihm, als sagte sie etwas, und sein Herz zuckte plötzlich voll Mitleid mit
    ihr zusammen.
    »Was sagtest du,

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