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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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länger quälen,
    nein, ich will es nicht! Ich werde dich von mir befreien. Du liebst mich nicht mehr, du liebst eine andere!«
    Wronski flehte sie an, sich zu beruhigen, und beteuerte ihr, daß für sie auch nicht ein Schatten von Grund zur
    Eifersucht vorhanden sei, daß er nie aufgehört habe und nie aufhören werde, sie zu lieben, und sie mehr liebe als
    je vorher.
    »Anna, warum quälst du in dieser Weise dich und mich?« sagte er und küßte ihre Hände. Seine Miene drückte jetzt
    Zärtlichkeit aus, und Anna glaubte an seiner Stimme zu hören, daß ihm die Tränen kamen, und fühlte sie feucht auf
    ihrer Hand. Und in einem Augenblicke ging Annas rasende Eifersucht in rasende, leidenschaftliche Zärtlichkeit über;
    sie umarmte ihn und bedeckte sein Gesicht, seinen Hals, seine Hände mit Küssen.

25
    In dem Gefühl, daß die Aussöhnung vollständig gewesen sei, machte sich Anna am folgenden Morgen mit lebhaftem
    Eifer an die Vorbereitungen zur Abreise. Obgleich noch nicht entschieden war, ob sie am Sonntag oder am Montag
    reisen würden, da am vorhergehenden Tage jeder dem anderen hatte nachgeben wollen, so machte sich Anna doch
    vollständig zur Abreise fertig; indessen war es ihr jetzt ganz gleichgültig, ob sie einen Tag früher oder später
    reisten. Sie stand in ihrem Zimmer über eine geöffnete Truhe gebeugt und ordnete die darin befindlichen Sachen, als
    er, schon völlig angekleidet, früher als gewöhnlich bei ihr eintrat.
    »Ich fahre jetzt gleich zu maman; sie kann mir das Geld durch Jegor schicken. Dann kann ich morgen abreisen«,
    sagte er.
    So gut auch Annas Stimmung war, so fühlte sie bei seiner Mitteilung, daß er nach dem Landhause fahre, doch einen
    Stich im Herzen.
    »Nein, ich werde bis dahin mit dem Packen selbst nicht fertig«, antwortete sie und dachte im selben Augenblicke:
    ›Also war es doch möglich, es mit der Abreise so einzurichten, wie ich wünschte.‹ – »Nein«, sprach sie weiter,
    »mach es nur so, wie du gewünscht hattest. Geh ins Eßzimmer; ich komme auch gleich; ich möchte nur noch diese
    unnützen Sachen herausnehmen.« Und dabei legte sie ihrer Annuschka, die schon einen ganzen Berg von allerlei Zeug
    auf dem Arme liegen hatte, noch etwas oben darauf.
    Wronski war dabei, sein Beefsteak zu essen, als sie ins Eßzimmer trat.
    »Du glaubst gar nicht, wie mir diese Zimmer zuwider geworden sind«, sagte sie und setzte sich neben ihn zu ihrem
    Kaffee. »Es gibt nichts Schrecklicheres als diese möblierten Zimmer. Sie haben so gar kein eigenes Gesicht, keine
    Seele. Diese Uhr, diese Vorhänge und namentlich diese Tapeten wirken auf mich geradezu wie ein beängstigender
    Traum. Ich sehne mich nach Wosdwischenskoje wie nach dem Gelobten Lande. Schickst du die Pferde noch nicht
    weg?«
    »Nein, die will ich nachkommen lassen. Hast du hier in Moskau noch irgendwelche Wege zu machen?«
    »Ich wollte noch zu der Wilson fahren; ich muß ihr einige Kleider bringen. Also reisen wir bestimmt morgen?«
    fragte sie in heiterem Tone; aber auf einmal veränderte sich der Ausdruck ihres Gesichtes.
    Wronskis Kammerdiener kam herein und bat um die Empfangsbescheinigung für ein Telegramm aus Petersburg. Es war
    an sich nichts Besonderes an der Tatsache, daß Wronski ein Telegramm erhalten hatte; aber es klang, als wenn er ihr
    etwas zu verbergen suchte, als er antwortete, die Bescheinigung liege in seinem Arbeitszimmer, und sich dann rasch
    zu ihr wandte:
    »Ich werde bestimmt morgen mit allem fertig sein.«
    »Von wem ist denn das Telegramm?« fragte sie, ohne auf ihn zu hören.
    »Von Stiwa«, antwortete er mit sichtlichem Widerstreben.
    »Warum hast du es mir denn nicht gezeigt? Was könnt ihr beide, du und Stiwa, denn vor mir für ein Geheimnis
    haben?«
    Wronski rief den Kammerdiener zurück und befahl ihm, das Telegramm zu bringen.
    »Ich wollte es dir nicht zeigen, weil Stiwa eine Leidenschaft für das Telegrafieren hat; was hat es denn für
    Zweck, zu telegrafieren, wenn noch keine Entscheidung erfolgt ist.«
    »Wegen der Scheidung?«
    »Ja, er meldet: ›Habe noch nichts erreichen können. Er versprach endgültige Antwort in einigen Tagen.‹ Da, lies
    selbst.«
    Mit zitternden Händen nahm Anna das Telegramm hin und las dasselbe, was Wronski vorgelesen hatte. Am Schlusse
    war noch hinzugefügt: »Wenig Hoffnung; werde alles mögliche und unmögliche tun.«
    »Ich sagte dir ja gestern, daß es mir ganz gleichgültig ist, wann ich die Scheidung erreiche, ja sogar, ob ich
    sie

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