Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)
angekommen, und dann ist es Petrows auch nur peinlich, wenn Sie da helfen wollen.«
»Nein, sagen Sir mir, warum mögen Sie es nicht, daß ich Petrows öfter besuche? Nicht wahr, Sie mögen es nicht? Warum also nicht?«
»Das habe ich nicht gesagt«, erwiderte Warjenka ruhig.
»Nein, bitte, antworten Sie mir!«
»Soll ich alles sagen?« fragte Warjenka.
»Jawohl! Alles, alles!« antwortete Kitty hastig.
»Etwas Besonderes ist ja eigentlich gar nicht zu sagen. Es ist nur dies: Michail Alexejewitsch (so hieß der Maler) hatte ursprünglich die Absicht, schon früher abzureisen, und jetzt möchte er am liebsten gar nicht fort«, antwortete Warjenka lächelnd.
»Weiter, weiter!« drängte Kitty und blickte Warjenka finster an.
»Ja, und da hat nun Anna Pawlowna, ich weiß nicht, wie das gekommen ist, aber sie hat gesagt, er wolle nur deswegen nicht fort, weil Sie hier wären. Das hätte sie ja natürlich nicht sagen sollen; aber daher ist der Streit gekommen. Ihretwegen. Sie wissen ja, wie reizbar solche Kranke sind.«
Kitty machte ein immer finstreres Gesicht und schwieg; Warjenka sprach allein weiter, bemüht, sie zu besänftigen und zu beruhigen; denn sie sah, daß sich ein Ausbruch, sie wußte nicht wovon, ob von Tränen oder von Worten, vorbereitete.
»Es ist also wohl besser, wenn Sie nicht hingehen ... Und Sie verstehen mich gewiß und nehmen es mir nicht übel ...«
»Es geschieht mir recht, es geschieht mir recht!« stieß Kitty hastig hervor, riß ihrer Freundin den Sonnenschirm aus den Händen und starrte an ihr vorbei.
Warjenka wollte lächeln, als sie den kindischen Zorn ihrer Freundin sah, fürchtete aber, sie dadurch zu beleidigen.
»Inwiefern geschieht Ihnen recht? Ich verstehe Sie nicht«, erwiderte sie.
»Jawohl, ich habe das verdient, weil das alles von mir nur Heuchelei war, weil das alles nur kläglich ausgesonnen war und nicht von Herzen kam. Was ging mich dieser fremde Mensch an? Und das Ergebnis ist nun, daß ich schuld an einem Streite geworden bin und getan habe, worum mich kein Mensch gebeten hatte. Weil eben alles nur Heuchelei war, jawohl, Heuchelei, Heuchelei ...«
»Aber wozu sollten Sie denn geheuchelt haben?« fragte Warjenka leise.
»Ach, wie dumm, wie schändlich von mir! Und ich hatte es ja gar nicht nötig ... Alles nur Heuchelei!« rief sie und machte dabei den Sonnenschirm immer auf und zu.
»Aber wozu denn? Wozu denn also?«
»Um besser zu scheinen vor den Menschen und vor mir selbst und vor Gott, um alle zu betrügen. Nein, nie wieder lasse ich mich auf so etwas ein. Wenn ich auch schlecht bin, aber wenigstens will ich keine Lügnerin, keine Betrügerin sein.«
»Aber wer ist denn hier eine Betrügerin?« fragte Warjenka vorwurfsvoll. »Sie reden ja so, als ob ...«
Aber Kittys Anfall von jäher Hitze war noch nicht zu Ende; sie ließ Warjenka nicht ausreden.
»Sie meine ich nicht, Sie meine ich ganz und gar nicht. Sie sind ein Wesen von idealer Vollkommenheit. Ja, ja, ich weiß, daß Sie ein solches Wesen sind; aber was ist dagegen zu machen, daß ich schlecht bin? Das wäre alles nicht geschehen, wenn ich nicht schlecht wäre. Nun, dann will ich eben sein, wie ich bin; aber heucheln will ich nicht mehr. Was geht mich Anna Pawlowna an? Mögen sie leben, wie sie wollen; und ich will auch leben, wie ich will. Ich kann mich nicht anders machen, als ich bin ... Und all das ist nicht das Richtige, nicht das Richtige ...«
»Was ist denn nicht das Richtige?« fragte Warjenka verständnislos.
»Das alles ist nicht das Richtige. Ich kann nicht anders leben, als mein Herz es mir eingibt; aber Sie und die andern leben nach Regeln und Grundsätzen. Ich habe Sie liebgewonnen, ganz einfach, ohne jede Absicht, Sie aber mich wohl nur, um mich zu retten und zu belehren!«
»Sie sind ungerecht«, versetzte Warjenka.
»Ich sage ja nichts über andere; ich rede nur von mir.«
»Kitty!« erscholl die Stimme der Mutter. »Komm doch einmal her und zeige dem Papa deine Blutapfelsinen!«
Mit stolzer Miene nahm Kitty, ohne sich mit ihrer Freundin versöhnt zu haben, das Körbchen mit den Blutapfelsinen vom Tische und ging zu ihrer Mutter hin.
»Was ist dir? Warum bist du so rot?« fragten Vater und Mutter wie aus einem Munde.
»O nichts!« antwortete sie. »Ich komme gleich wieder!« Damit lief sie zurück.
›Sie ist noch da!‹ dachte sie. ›Was soll ich
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