Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)
sie.
»Nun, dann bekomme ich meinen Gewinn später.«
»Schön, schön! Ach ja!« wandte sie sich plötzlich an die Wirtin. »Ich bin gut! ... Das hatte ich ja ganz vergessen ... Ich habe Ihnen einen Gast mitgebracht. Da ist er ja auch!«
Der unerwartete jugendliche Gast, den Sappho mitgebracht und vergessen hatte, war jedoch ein so hoher Gast, daß trotz seines jugendlichen Alters sich die beiden Damen zu seiner Begrüßung von ihren Plätzen erhoben.
Dies war ein neuer Verehrer Sapphos. Ebenso wie Waska, folgte er ihr jetzt auf Schritt und Tritt nach.
Bald kamen auch Fürst Kaluschski und Lisa Merkalowa mit Stremow. Lisa Merkalowa war eine hagere Brünette mit trägem, orientalischem Gesichtsausdruck und reizenden Augen, unergründlichen Augen, wie man allgemein sagte. Der Charakter ihrer dunklen Kleidung (Anna bemerkte dies sofort und wußte es zu würdigen) stimmte in denkbar vollkommenster Weise zu der Eigenart ihrer Schönheit. Wie bei Sappho alles fest und straff war, so bei Lisa weich und lose.
Aber nach Annas Geschmack war Lisa weit anziehender. Betsy hatte zu Anna von ihr gesagt, sie habe den Ton eines naiven Kindes angenommen; aber als Anna sie jetzt kennenlernte, fühlte sie, daß das nicht richtig war. Sie war in Wirklichkeit ein naives Wesen, verderbt, aber liebenswürdig, so daß man ihr nicht zürnen konnte. Allerdings, ihr Ton war derselbe wie der Ton Sapphos, und ebenso wie dieser folgten ihr wie angeseilt zwei Anbeter und verschlangen sie mit den Augen (bei ihr war der eine jung, der andere alt); aber in ihr lag etwas, was sie über ihre Umgebung hinaushob: das war der Glanz des echten Diamanten unter Nachbildungen von Glas. Dieser Glanz leuchtete aus ihren reizenden, in der Tat unergründlichen Augen hervor. Der müde und zugleich leidenschaftliche Blick dieser von dunklen Ringen umgebenen Augen überraschte durch seine vollkommene Aufrichtigkeit. Jeder, der in diese Augen hineinblickte, war überzeugt, daß er diese Frau vollständig kennengelernt habe, und mußte sie dann notwendig liebgewinnen. Bei Annas Anblick leuchtete ihr ganzes Gesicht auf einmal von einem freudigen Lächeln auf.
»Ach, wie freue ich mich, Sie zu sehen!« sagte sie und trat auf sie zu. »Ich wollte gestern beim Rennen gerade zu Ihnen kommen, da waren Sie weggefahren. Gerade gestern hatte ich den lebhaften Wunsch, mit Ihnen zu sprechen. Nicht wahr, es war entsetzlich?« sagte sie, und in dem Blicke, mit dem sie sie ansah, schien ihre ganze Seele offen dazuliegen.
»Ja, ich hätte nie geglaubt, daß das so aufregend ist«, erwiderte Anna errötend.
Unterdessen hatte sich die Gesellschaft erhoben, um in den Garten zu gehen.
»Ich gehe nicht mit«, sagte Lisa lächelnd und setzte sich neben Anna. »Sie wollen auch nicht hingehen? Wie kann einem das Krocketspielen nur Vergnügen machen!«
»Oh, ich spiele ganz gern«, erwiderte Anna.
»Wissen Sie, wie fangen Sie es nur an, daß Sie sich nicht langweilen? Man braucht Sie nur anzusehen, dann wird man fröhlich. So wie Sie leben, das ist das wahre Leben; ich aber langweile mich.«
»Wie meinen Sie denn das? Sie sind ja doch eins der vergnügtesten Mitglieder der Petersburger Gesellschaft«, versetzte Anna.
»Mag sein, daß die, die nicht zu unserer Gesellschaft gehören, sich noch mehr langweilen; aber bei uns, jedenfalls bei mir, ist von Vergnügtsein nicht die Rede, nur von furchtbarer, ganz furchtbarer Langeweile.«
Sappho hatte sich eine Zigarette angezündet und ging nun mit den beiden jungen Männern in den Garten. Betsy und Stremow blieben am Teetisch sitzen.
»Aber wie können Sie so etwas behaupten!« sagte Betsy zu Lisa. »Sappho sagt, daß sie sich gestern bei Ihnen vorzüglich unterhalten haben.«
»Ach, es war so furchtbar öde!« versetzte Lisa Merkalowa. »Wir fuhren nach dem Rennen alle zu mir nach Hause. Und immer dieselben Menschen, immer dieselben Menschen! Und immer ein und das selbe! Den ganzen Abend über haben wir uns auf den Sofas herumgerekelt. Was ist denn daran Vergnügliches? Nein, wie fangen Sie es nur an, daß Sie sich nicht langweilen?« wandte sie sich wieder zu Anna. »Man braucht Sie nur anzublicken, so sieht man: das ist eine Frau, die glücklich oder auch unglücklich sein kann, aber sich nie langweilt. Lehren Sie mich, wie Sie das zustande bringen!«
»Ich tue gar nichts dazu«, antwortete Anna, die bei diesen zudringlichen Fragen errötete.
»Gerade
Weitere Kostenlose Bücher