Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)
das ist das beste Verfahren«, mischte sich hier Stremow in das Gespräch.
Stremow war ein Mann von etwa fünfzig Jahren, schon halb ergraut, aber noch frisch, sehr unschön, aber mit einem Gesichte, das auf einen festen Charakter und Klugheit schließen ließ. Lisa Merkalowa war eine Nichte seiner Frau, und er verbrachte alle seine freien Stunden in ihrer Gesellschaft. Da er jetzt mit Anna Karenina zusammengetroffen war, so war er, obgleich in der amtlichen Tätigkeit ein Gegner Alexei Alexandrowitschs, als kluger Weltmann bemüht, gegen sie, die Gattin seines Gegners, besonders liebenswürdig zu sein.
»Gar nichts dazu tun«, bemerkte er, Annas Worte aufnehmend, mit feinem Lächeln, »das ist das beste Mittel. Ich habe Ihnen schon früher wiederholt gesagt«, wandte er sich an Lisa Merkalowa, »um sich nicht zu langweilen, muß man nicht daran denken, daß man sich langweilen könnte. Ganz ebenso, wie man, wenn Besorgnis wegen Schlaflosigkeit besteht, sich nicht davor fürchten darf, daß man vielleicht nicht einschlafen werde. Ganz dasselbe hat Ihnen auch Anna Arkadjewna gesagt.«
»Ich würde sehr froh sein, wenn ich es gesagt hätte; denn es ist nicht nur klug gesagt, sondern auch wahr«, erwiderte Anna lächelnd.
»Aber sagen Sie mir doch, woher kommt es, daß man nicht einschlafen kann und daß man sich vor der Langenweile nicht retten kann?«
»Um einzuschlafen, muß man vorher arbeiten, und um vergnügt zu sein, muß man gleichfalls vorher arbeiten.«
»Wozu soll ich denn arbeiten, wenn meine Arbeit niemandem nötig oder nützlich ist? Und mich absichtlich nur so zu stellen, das verstehe ich nicht, und das will ich auch nicht.«
»Sie sind unverbesserlich«, versetzte Stremow, ohne sie anzusehen, und wandte sich wieder zu Anna.
Da er nur selten mit Anna zusammentraf, so konnte er zu ihr nur Oberflächliches reden; aber diese Oberflächlichkeiten, zum Beispiel wann sie wieder nach Petersburg übersiedeln werde, wie sehr die Gräfin Lydia Iwanowna sie in ihr Herz geschlossen habe, brachte er mit einem Ausdruck vor, der deutlich er kennen ließ, daß er von ganzem Herzen wünschte, ihr angenehm zu sein und ihr seine Achtung und sogar noch mehr zu bezeigen.
Tuschkewitsch kam herein und meldete, die ganze Gesellschaft warte auf die Krocketspieler.
»Nein, bitte, brechen Sie nicht auf!« bat Lisa Merkalowa, als sie hörte, daß Anna wegfahren wollte. Stremow vereinigte seine Bitten mit den ihrigen.
»Es würde ein gar zu starker Gegensatz sein«, bemerkte er, »wenn Sie nach dieser Gesellschaft das alte Fräulein Wrede besuchen wollten. Und dann: die alte Dame würde sich über Ihren Besuch nur deshalb freuen, weil sie an Ihnen eine erwünschte Zuhörerin haben würde, um ihrer Lästersucht freien Lauf zu lassen; hier aber erwecken Sie ganz andere Empfindungen, die allerbesten Empfindungen, das gerade Gegenteil von Lästersucht«, sagte er zu ihr.
Anna war einen Augenblick unschlüssig und überlegte. Die schmeichelhaften Reden dieses klugen Mannes, die kindliche Zuneigung, die Lisa Merkalowa ihr entgegenbrachte, und dieses ganze ihr so vertraute vornehme Getriebe, alles dies war eine Luft, in der sich leicht atmen ließ; dort aber stand ihr so Schweres bevor, daß sie einen Augenblick unschlüssig war, ob sie nicht bleiben und den schrecklichen Augenblick der Aussprache noch verschieben sollte. Aber als sie daran dachte, was ihrer zu Hause wartete, wenn sie, ohne einen Entschluß gefaßt zu haben, dort wieder allein wäre, als sie an die ihr noch in der Erinnerung furchtbare Gebärde dachte, wie sie sich mit beiden Händen in die Haare gefaßt hatte, da verabschiedete sie sich und fuhr weg.
19
O bgleich Wronski dem Anschein nach das leichtsinnige Dasein eines Lebemannes führte, war er doch ein entschiedener Feind der Unordnung. Als er noch ganz jung, noch im Pagenkorps war, hatte er das peinliche Erlebnis gehabt, daß er in Geldklemme geriet, borgen wollte und eine abschlägige Antwort erhielt, und seit jener Zeit hatte er sich sorgsam davor gehütet, wieder in eine ähnliche Lage zu kommen. Um seine Angelegenheiten immer in Ordnung zu halten, setzte er sich etwa fünfmal im Jahre, je nach den Umständen häufiger oder seltener, ganz allein hin und brachte alle seine Angelegenheiten ins klare. Er nannte das »große Wäsche veranstalten« oder faire la lessive.
Am Tage nach dem Rennen wachte Wronski erst spät auf; ohne sich rasiert und
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