Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)
dienstfertig gegen sie. Aber was da noch weiter im tieferen Grunde liegt, das begehrt niemand zu wissen. Sie wissen, von manchen Einzelheiten der Kleidung spricht man in guter Gesellschaft nicht, ja, man denkt an dergleichen nicht einmal. So ist es auch mit solchen Beziehungen.«
»Werden Sie auf dem Feste bei Rolandakis sein?« fragte Anna, um das Gespräch auf einen anderen Gegenstand zu bringen.
»Ich glaube nicht«, antwortete Betsy und begann, ohne ihre Freundin anzublicken, vorsichtig den duftenden Tee in die kleinen, durchschimmernden Tassen zu gießen. Nachdem sie Anna eine Tasse hingeschoben hatte, holte sie eine Pajilla hervor, steckte sie in ein silbernes Mundstück und rauchte.
»Ja, sehen Sie wohl, ich befinde mich in einer glücklichen Lage«, begann sie, indem sie die Tasse in die Hand nahm; sie lachte jetzt nicht mehr. »Ich verstehe Sie, und ich verstehe Lisa. Lisa, das ist eine von jenen naiven Naturen, die wie die Kinder nicht wissen, was gut und was böse ist. Wenigstens hat sie es nicht gewußt, als sie noch sehr jung war. Und jetzt weiß sie, daß dieses Nichtwissen ihr gut steht. Jetzt ist sie vielleicht absichtlich unwissend«, sagte Betsy mit feinem Lächeln. »Aber trotzdem steht es ihr gut. Sehen Sie, man kann dieselbe Sache herzzerreißend anschauen und sich aus ihr eine Marter machen, und man kann sie auch ganz einfach und sogar von der heiteren Seite ansehen. Vielleicht neigen Sie dazu, die Dinge allzu erschütternd aufzufassen.«
»Wie sehr würde ich wünschen, andere Menschen so genau zu kennen, wie ich mich selbst kenne«, sagte Anna ernst und nachdenklich. »Bin ich schlechter als andere oder besser? Ich glaube, schlechter.«
»Das richtige Kind! Das richtige Kind!« rief Betsy aus. – »Aber da sind sie ja.«
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1 (frz.) die sieben Weltwunder.
2 (engl.) Krocketplatz.
3 (engl.) wir wollen gemütlich miteinander plaudern.
18
E s wurden Schritte und eine Männerstimme hörbar, darauf eine Frauenstimme und Lachen, und gleich darauf traten die erwarteten Gäste ein: Sappho Stoltz und ein von Gesundheit strotzender junger Mann, den man Waska zu nennen pflegte. Man sah, daß ihm die Ernährung mit halbblutigen Beefsteaks, Trüffeln und Burgunder gut bekam. Waska verbeugte sich vor den Damen und blickte sie an, aber nur eine Sekunde. Er war hinter Sappho in den Salon eingetreten und ging nun im Salon hinter ihr her, als ob er an sie angebunden wäre, und wandte seine glänzenden Augen auch nicht einen Augenblick von ihr ab, wie wenn er sie damit verzehren wollte. Sappho Stoltz war eine Blondine mit schwarzen Augen. Sie war mit kleinen, festen Schritten auf den hohen Absätzen ihrer Stiefelchen hereingekommen und drückte nun den Damen kräftig, nach Männerart, die Hand.
Anna war mit dieser neuen Berühmtheit noch nie zusammengetroffen und war nun überrascht sowohl durch ihre Schönheit wie auch durch das Auffällige ihrer Kleidung und die Keckheit ihres Benehmens. Auf ihrem Kopfe war aus eigenem und fremdem Haar von zartgoldiger Farbe eine Frisur von so gewaltiger Höhe aufgebaut, daß ihr Kopf ebenso groß war wie die schön gewölbte, vorn sehr offene Büste. Vorn lag das Kleid so eng an, daß sich bei jeder Bewegung die Formen der Knie und Oberschenkel unter dem Kleide abzeichneten; und was die Rückseite anlangte, fragte man sich unwillkürlich, wo denn dort in diesem kunstvoll aufgebauten, hin und her schaukelnden Berge ihr wirklicher, kleiner, anmutiger Körper endigen mochte, der oben so weit entblößt und am untern Teile der Rückseite so sorgsam versteckt war.
Betsy beeilte sich, Sappho und Anna einander vorzustellen.
»Können Sie sich das vorstellen, wir hätten beinahe zwei Soldaten überfahren!« begann Sappho sogleich lächelnd und mit vergnügtem Augenzwinkern zu erzählen; dabei zog sie auch ihre Schleppe nach hinten zurecht, die sie zuerst zu sehr nach einer Seite geworfen hatte. »Ich fuhr mit Waska ... Ach so, Sie sind nicht miteinander bekannt.« Sie stellte den jungen Mann mit seinem Familiennamen vor und lachte errötend laut über ihren Verstoß, daß sie ihn einer Unbekannten gegenüber Waska genannt hatte. Waska verbeugte sich noch einmal vor Anna, ohne jedoch etwas zu ihr zu sagen. Er wandte sich an Sappho: »Sie haben die Wette verloren. Wir sind früher angekommen. Also bezahlen Sie nur!« sprach er lächelnd.
Sappho lachte noch lustiger.
»Aber doch nicht jetzt«, erwiderte
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