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Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Titel: Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Tolstoi
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energische, durch das vorstehende Kinn besonders auffällige Gesicht des Händlers ein, von dem er seine Zigarren kaufte, und eben dieses Gesicht und Kinn gab er nun seinem Manne auf der Zeichnung. Er lachte vor Freude laut auf. Der Kopf war plötzlich von einem toten, gekünstelten zu einem lebendigen geworden, der so gut gelungen war, daß nichts mehr daran geändert zu werden brauchte. Dieser Kopf hatte Leben und war in klarer, zweifelloser Weise charakterisiert. Man konnte ja die übrige Figur noch den Anforderungen dieses Kopfes entsprechend verbessern; man konnte und mußte sogar die Beine anders auseinanderrücken, die Haltung des linken Armes völlig verändern, das Haar nach hinten zurückwerfen. Aber wenn er diese Verbesserungen vornahm, so änderte er dadurch die Gestalt nicht, sondern er beseitigte nur das, wodurch sie verborgen wurde. Er nahm gleichsam Hüllen von ihr herunter, die ihre volle Sichtbarkeit beeinträchtigt hatten. Jeder neue Bleistiftstrich ließ die ganze Gestalt nur noch mehr in ihrer vollen, energischen Kraft hervortreten, so, wie sie ihm plötzlich durch den Stearinfleck erschienen war. Er war eben dabei, die Zeichnung vorsichtig zu beenden, als ihm die Besuchskarten überbracht wurden. »Ich komme sofort!«
     
    Er ging ins andere Zimmer zu seiner Frau.
     
    »Nun, laß es gut sein, Sascha, sei nicht mehr böse!« sagte er zu ihr mit einem schüchternen, zärtlichen Lächeln. »Du hattest schuld, ich hatte schuld. Ich werde alles in Ordnung bringen.« Und nachdem er sich so mit seiner Frau versöhnt hatte, zog er seinen olivenfarbenen Überzieher mit dem Samtkragen an, setzte den Hut auf und ging nach seinem Atelier. Daß ihm die Zeichnung so gut gelungen war, hatte er schon wieder vergessen. Jetzt freute und erregte ihn nur der Besuch seines Ateliers durch diese vornehmen Russen, die in einem Wagen angefahren gekommen waren.
     
    Über sein großes Gemälde, das auf seiner Staffelei stand, hatte er in der Tiefe seiner Seele sein bestimmtes Urteil fertig: daß ein solches Bild noch nie jemand gemalt habe. Er glaubte gerade nicht, daß sein Bild besser sei als alle Raffaelschen; aber er war überzeugt, daß das, was er in seinem Bilde hatte zum Ausdruck bringen wollen, noch nie von einem andern ausgedrückt worden war. Das war seine feste Überzeugung, und diese Überzeugung hatte er schon längst gehabt, schon seit der Zeit, wo er sein Bild angefangen hatte zu malen; aber die Urteile der Leute, von welcher Art auch immer diese Leute waren, hatten für ihn trotzdem eine gewaltige Wichtigkeit und erregten ihn bis auf den tiefsten Grund seiner Seele. Jede Bemerkung, selbst die unbedeutendste, die zeigte, daß die Beurteiler auch nur einen kleinen Teil von dem sahen, was er selbst in diesem Bilde sah, machte auf ihn den allerstärksten Eindruck. Er schrieb seinen Beurteilern immer ein weit tieferes Verständnis zu, als er es selbst besaß, und erwartete stets von ihnen etwas zu erfahren, was er selbst an seinem Bilde noch nicht gesehen hatte. Und oft meinte er wirklich in den Kritiken der Beschauer derartiges zu finden.
     
    Mit schnellen Schritten näherte er sich dem Hause, in dem sich sein Atelier befand, und war trotz seiner Aufregung überrascht von der weichen Beleuchtung der Gestalt Annas, die im Schatten an der Haustür stand, auf Golenischtschew hinhörte, der ihr eifrig etwas auseinandersetzte, und gleichzeitig offenbar wünschte, sich den herankommenden Maler anzusehen. Er wurde sich selbst dessen gar nicht bewußt, daß er bei der Annäherung an die Besucher diesen Eindruck erfaßte und gleichsam verschluckt hatte, ebenso wie den vom Kinn des Zigarrenhändlers, und ihn da irgendwo verborgen hatte, um ihn, sobald es nötig sein würde, wieder hervorzuholen. Die Besucher, die schon im voraus durch Golenischtschews Mitteilungen über den Maler enttäuscht worden waren, sahen sich durch sein Äußeres noch mehr enttäuscht. Von mittlerer Größe, stämmig, mit seinem gezierten Gang, in seinem braunen Hut, dem olivenfarbenen Überzieher und den engen Beinkleidern, während schon längst weite getragen wurden, namentlich aber durch sein sehr gewöhnliches, breites Gesicht, auf dem sich der Ausdruck von Schüchternheit mit dem gespreizter Würde verband, brachte bei Michailow einen unangenehmen Eindruck hervor.
     
    »Bitte ergebenst«, sagte er, indem er sich bemühte, ein gleichgültiges Gesicht zu machen, trat in den Hausflur, holte einen Schlüssel aus der Tasche und schloß die

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