Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)
so schlechten Unterricht erteilten; aber er hatte seiner Schwägerin versprochen, beim Unterricht so zu verfahren, wie sie es wünschte. So hatte er denn Grigori seitdem nicht nach seiner eigenen Methode, sondern nach dem Buche unterrichtet, und daher hatte er es ohne rechte Lust getan und die Lehrstunde nicht selten vergessen. So war es auch an diesem Tage gegangen.
»Nein, ich will gehen, Dolly; bleib du nur sitzen«, sagte er. »Wir werden alles ganz ordentlich, streng nach dem Buche, durchnehmen. Aber wenn Stiwa kommt, dann fahren wir allerdings auf die Jagd; dann müssen wir mit dem Unterricht aussetzen.«
Damit ging Ljewin zu Grigori.
In ganz ähnlicher Weise sprach Warjenka zu Kitty. Warjenka hatte es auch in dem glücklichen, wohleingerichteten Ljewinschen Hause verstanden, sich nützlich zu machen.
»Ich werde schon für das Abendessen sorgen; bleiben Sie nur ruhig sitzen«, sagte sie, stand auf und ging zu Agafja Michailowna.
»Ja, ja, gewiß sind keine jungen Hühner zu bekommen gewesen. Dann müssen wir von unseren ...«, sagte Kitty.
»Ich werde das schon mit Agafja Michailowna überlegen« – und Warjenka verschwand mit dieser.
»Welch ein liebes Mädchen!« bemerkte die Fürstin.
»Sie ist nicht nur lieb, maman, sondern geradezu entzückend, wie man nicht leicht eine zweite findet.«
»Also Sie erwarten heute Stepan Arkadjewitsch?« fragte Sergei Iwanowitsch, der augenscheinlich nicht wünschte, daß das Gespräch über Warjenka fortgesetzt werde. »Es dürfte schwer sein, zwei Schwäger aufzutreiben, die weniger Ähnlichkeit miteinander hätten«, fuhr er mit feinem Lächeln fort: »Der eine nur für die Gesellschaft lebend und in ihr munter und lebenslustig, wie ein Fisch im Wasser; der andere, unser Konstantin, auf allen anderen Gebieten lebendig, rasch und eifrig, aber sobald er sich in Gesellschaft befindet, wird er entweder starr wie Holz, oder er schlägt sinnlos um sich wie ein Fisch auf dem Trockenen.«
»Ja, er ist sehr unbedacht«, bemerkte die Fürstin, zu Sergei Iwanowitsch gewendet. »Ich wollte Sie wirklich schon bitten, ihm doch auseinanderzusetzen, daß sie« (sie deutete auf Kitty) »unmöglich hier bleiben kann, sondern unbedingt nach Moskau fahren muß. Er sagt, wir sollten einen Arzt hierherkommen lassen ...«
»Maman, er wird alles tun, er ist mit allem einverstanden«, unterbrach Kitty sie; sie ärgerte sich über ihre Mutter, weil sie in einer solchen Sache Sergei Iwanowitsch als Richter anrief.
Während des Gespräches wurde in der Allee das Schnauben von Pferden und das Knirschen von Rädern auf dem Kies vernehmbar.
Kaum war Dolly aufgestanden, um ihrem Manne entgegenzugehen, als unten aus dem Fenster des Zimmers, in dem Grigori seinen Unterricht erhielt, Ljewin heraussprang und darauf auch seinen Schüler heraushob.
»Das ist Stiwa!« rief Ljewin zum Balkon hinauf. »Wir waren eben fertig, Dolly, sei ganz unbesorgt!« fügte er hinzu und rannte wie ein Junge dem Wagen entgegen.
»Is ea id, ejus 1 ejus ejus!« schrie Grigori, während er in großen Sätzen die Allee entlang lief.
»Es ist noch jemand darin. Gewiß Papa!« rief Ljewin vom Eingang der Allee, wo er stehengeblieben war, zurück. »Kitty, steig nicht die steile Treppe hinunter, geh hintenherum die andere.«
Aber in der Vermutung, daß der zweite Insasse des Wagens der alte Fürst sei, hatte Ljewin sich geirrt. Als er dem Wagen näher gekommen war, erblickte er neben Stepan Arkadjewitsch nicht den Fürsten, sondern einen hübschen, etwas völligen jungen Mann, der auf dem Kopfe eine schottische Mütze mit langen Bändern trug. Dies war Wasenka Weslowski, ein weitläufiger Vetter der Schtscherbazkis, ein glänzender Kavalier in den Petersburger und Moskauer Salons, »ein sehr netter Kerl und leidenschaftlicher Jäger«, wie ihn Stepan Arkadjewitsch vorstellte.
Ohne auch nur im geringsten verlegen zu werden über die Enttäuschung, die er dadurch herbeigeführt hatte, daß er statt des alten Fürsten mitgekommen war, begrüßte Weslowski höchst vergnügt Ljewin unter Berufung auf ihre frühere Bekanntschaft; dann half er dem kleinen Grigori in den Wagen und hob ihn über den Jagdhund weg, den sich Stepan Arkadjewitsch mitgebracht hatte.
Ljewin stieg nicht in den Wagen, sondern ging hinterher. Er war etwas verstimmt darüber, daß der alte Fürst nicht mitgekommen war, den er immer mehr liebgewann, je näher er ihn
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