Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)
kennenlernte, sowie darüber, daß sich da dieser Wasenka Weslowski, so ein ganz fremder, überflüssiger Mensch, eingefunden hatte. Noch fremder und überflüssiger erschien er ihm, als sie zur Haustür gelangten, wo sich der ganze Schwarm der Erwachsenen und Kinder in lebhafter Erregung versammelt hatte, und Ljewin sehen mußte, daß Wasenka Weslowski mit besonders freundlicher, galanter Miene Kitty die Hände küßte.
»Ich bin ja ein Vetter Ihrer Frau, und zudem sind wir alte Bekannte«, sagte Wasenka Weslowski und drückte noch einmal Ljewin recht kräftig und herzlich die Hand.
»Nun, wie steht's? Ist Wild da?« wandte sich Stepan Arkadjewitsch an Ljewin, sobald er nur damit fertig geworden war, die einzelnen zu begrüßen. »Ich und der hier, wir haben die allergrausamsten Absichten. Natürlich, maman, in Moskau hat sich das junge Ehepaar wer weiß wie lange nicht wieder blicken lassen. Na, Tanja, es ist auch für dich etwas da; hol dir's mal, im Wagen, hinten«, so redete er nach allen Seiten. »Wie frisch du wieder geworden bist, liebste Dolly«, sagte er zu seiner Frau und küßte ihr noch einmal die Hand, die er in der seinen hielt und mit der andern zärtlich von oben klopfte.
Ljewin, der noch wenige Minuten vorher in fröhlichster Stimmung gewesen war, richtete jetzt finstere Blicke auf alle, und alles mißfiel ihm.
›Wen mag er wohl gestern mit diesen Lippen geküßt haben?‹ dachte er, als er Stepan Arkadjewitschs zärtliches Benehmen gegen seine Frau bemerkte. Er blickte Dolly beobachtend an, und auch diese erregte sein Mißfallen.
›Sie glaubt ja gar nicht an seine Liebe. Also worüber freut sie sich denn so? Widerlich!‹ dachte Ljewin.
Er sah zur Fürstin hin, die ihm noch kurz vorher so liebenswürdig erschienen war, und es mißfiel ihm die Art, wie sie, als wäre sie hier zu Hause, diesen Wasenka mit seinen Bändern willkommen hieß.
Selbst Sergei Iwanowitsch, der gleichfalls vor die Tür getreten war, machte ihm einen unangenehmen Eindruck durch die gekünstelte Herzlichkeit, mit der er Stepan Arkadjewitsch begrüßte, während doch Ljewin wußte, daß sein Bruder ihn weder gern mochte noch achtete.
Auch Warjenka, auch sie war ihm zuwider wegen der scheinheiligen Miene, die sie diesem Herrn gegenüber bei der Vorstellung machte, obwohl sie doch sicherlich nur daran dachte, wie sie einen Mann bekommen könne.
Am allermeisten aber ärgerte er sich über Kitty, weil sie auf den heiteren Ton einging, in dem dieser Herr seine Ankunft auf dem Gute wie einen Festtag für sich und für alle behandelte, und besonders widerwärtig war ihm das eigentümliche Lächeln, mit dem sie sein Lächeln erwiderte.
In lärmendem Gespräche begaben sich alle ins Haus; aber sobald sie nur sämtlich Platz genommen hatten, drehte sich Ljewin um und ging hinaus.
Kitty sah, daß mit ihrem Manne etwas vorgegangen war. Gern hätte sie einen Augenblick erhascht, um mit ihm allein zu sprechen; aber er hatte es eilig, von ihr wegzukommen, indem er sagte, er müsse notwendig ins Kontor. Schon lange waren ihm die Wirtschaftsangelegenheiten nicht so wichtig erschienen wie heute. ›Für diese Leute da‹, dachte er, ›ist immer Feiertag; ich aber habe meine Werktagsarbeit, die keinen Aufschub leidet und von der ich leben muß.‹
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1 (lat.) Nominativ und Genitiv Singular von is (dieser).
7
I ns Haus kam Ljewin erst zurück, als jemand zu ihm geschickt wurde, ihn zum Abendessen zu rufen. Auf der Treppe standen Kitty und Agafja Michailowna und berieten über die Weine, die beim Abendessen auf den Tisch kommen sollten.
»Wozu macht ihr denn soviel Aufhebens? Setzt ihnen doch unseren gewöhnlichen Tischwein vor.«
»Nein, den mag Stiwa nicht ... Warte doch, Konstantin, was hast du denn eigentlich?« rief ihm Kitty zu, während sie ihm nacheilte; aber er ging erbarmungslos, ohne auf sie zu warten, mit großen Schritten in das Speisezimmer und beteiligte sich dort sofort an der lebhaften allgemeinen Unterhaltung, bei der Wasenka Weslowski und Stepan Arkadjewitsch besonders hervortraten.
»Nun, wie ist's? Wollen wir morgen auf die Jagd fahren?« fragte Stepan Arkadjewitsch.
»Ach ja, tun wir das!« erwiderte Weslowski. Er setzte sich, seinen Platz wechselnd, auf einen andern Stuhl, aber seitwärts und so, daß er das eine seiner fetten Beine unter den Leib schob.
»Es wird mir ein großes Vergnügen sein. Fahren wir also! Haben Sie in
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