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Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Titel: Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Tolstoi
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doch nicht würde hingeben können«, entgegnete Ljewin, »und weil ich auch niemand weiß, dem ich es hingeben könnte.«
     
    »Gib es hier diesem Bauern; er wird es nicht zurückweisen.«
     
    »Ja, aber wie soll ich es ihm denn geben? Soll ich mit ihm hinfahren und einen Kaufvertrag abschließen?«
     
    »Das weiß ich nicht; aber wenn du überzeugt bist, daß du kein Recht hast ...«
     
    »Davon bin ich ganz und gar nicht überzeugt. Ich fühle im Gegenteil, daß ich kein Recht habe, es wegzugeben, daß ich Pflichten sowohl dem Grund und Boden wie auch meiner Familie gegenüber habe.«
     
    »Nein, erlaube; wenn du der Ansicht bist, daß diese Ungleichheit ungerecht ist, warum handelst du dann nicht so?«
     
    »Ich handle auch so, aber nur negativ, insofern ich nicht bemüht sein werde, den Unterschied der Lage, der zwischen mir und ihm besteht, noch zu vergrößern.«
     
    »Nein, nimm es mir nicht übel, das ist widersinnig.«
     
    »Ja, das ist eine spitzfindige Auslegung«, stimmte ihm Weslowski bei. »Ah, sieh da, unser Wirt!« sagte er zu dem Bauern, der durch das knarrende Tor in die Scheune kam. »Nun, schläfst du noch nicht?«
     
    »Nein, wie werde ich denn schlafen? Ich dachte, die Herren schliefen schon; da hörte ich, wie sie noch miteinander plauderten. Ich möchte mir eine Sense von hier holen. Beißt er auch nicht?« fügte er hinzu, während er vorsichtig mit seinen nackten Füßen an einem der Hunde vorbeiging.
     
    »Wo wirst du denn schlafen?«
     
    »Wir sind auf Nachtwache bei der Pferdeherde.«
     
    »Ach, welch eine wundervolle Nacht!« sagte Weslowski und blickte nach den Umrissen des Bauernhauses und des ausgespannten Jagdwagens, die bei dem schwachen Lichte der Abendröte in dem großen Rahmen des jetzt geöffneten Tores sichtbar waren. »Aber hören Sie nur, da singen ja Frauenstimmen, und wirklich nicht übel. Wer singt denn da, Wirt?«
     
    »Ach, das sind Gutsmägde, da nebenan.«
     
    »Kommen Sie, meine Herren, wir wollen ein bißchen spazierengehen! Schlafen können wir ja doch nicht. Oblonski, komm doch!«
     
    »Wenn man nur zugleich liegenbleiben und spazierengehen könnte«, antwortete Oblonski, sich streckend. »Es liegt sich hier vorzüglich.«
     
    »Nun, dann gehe ich allein«, sagte Weslowski, stand schnell auf und zog sich Strümpfe und Schuhe an. »Auf Wiedersehen, meine Herren. Wenn es vergnüglich sein sollte, so werde ich Sie rufen. Sie haben mich zu Jagdbeute gelangen lassen, und da werde ich auch Sie nicht vergessen.«
     
    »Nicht wahr, ein prächtiger junger Mann?« sagte Oblonski, als Weslowski weggegangen war und der Bauer das Tor hinter ihm geschlossen hatte.
     
    »Ja, das ist er«, antwortete Ljewin, der immer noch an den Gegenstand des vorhergehenden Gespräches dachte. Er glaubte seine Gedanken und Gefühle mit aller ihm nur möglichen Deutlichkeit ausgesprochen zu haben, und doch hatten diese beiden Zuhörer, beides verständige, aufrichtige Männer, einstimmig erklärt, er beruhige sich mit Trugschlüssen. Das machte ihn stutzig.
     
    »Ja, so ist das, mein Freund. Für eines von zwei Dingen muß man sich entscheiden: entweder muß man die bestehende Gesellschaftsordnung für gerecht erklären, und dann muß man seine Rechte verteidigen; oder aber man muß, wie auch ich es tue, zugeben, daß einem eine ungerechte Bevorzugung zuteil wird, und sich diese Bevorzugung mit Vergnügen gefallen lassen.«
     
    »Nein, wenn dabei eine Ungerechtigkeit vorläge, dann könntest du dich dieser Vorteile nicht mit Vergnügen bedienen, wenigstens ich könnte es nicht. Ich habe vor allen Dingen das Bewußtsein nötig, daß ich keine Schuld trage.«
     
    »Nun, wie ist's? Wollen wir nicht auch noch ein bißchen weggehen?« fragte Stepan Arkadjewitsch, der sich offenbar von dieser Anstrengung seiner Denkkraft ermüdet fühlte. »Schlafen können wir ja doch noch nicht. Im Ernst, komm mit!«
     
    Ljewin antwortete nicht. Es beschäftigte ihn noch immer die Äußerung, die er im Gespräche getan hatte, er handle nur in negativem Sinne gerecht. ›Ist es wirklich nur negativ möglich, gerecht zu sein?‹ fragte er sich selbst.
     
    »Aber wie stark doch das frische Heu duftet!« sagte Stepan Arkadjewitsch und richtete sich auf. »Es ist mir schlechterdings nicht möglich zu schlafen. Wasenka hat da angebändelt. Hörst du das Gekicher der Mädchen und seine Stimme? Wollen wir nicht auch hingehen? Komm doch!«
     
    »Nein, ich gehe nicht hin«, erwiderte

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