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Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Titel: Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Tolstoi
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Weslowski bei. »Vollkommen richtig! Oblonski verkehrt ja mit solchen Leuten natürlich nur aus Gutmütigkeit; aber andere sagen: wenn ein Mann wie Oblonski dahin fährt! ...«
     
    »So ist das ganz und gar nicht« (Ljewin glaubte, während er Oblonski das sagen hörte, ordentlich zu sehen, wie dieser lächelte). »Sondern ich halte ihn einfach nicht für ehrloser als irgendwen von unseren reichen Kaufleuten und Adligen. Die einen wie die andern sind in gleicher Weise durch Arbeit und Klugheit reich geworden.«
     
    »Wieso durch Arbeit? Ist denn das eine Arbeit, sich eine Konzession zu verschaffen und sie dann weiterzuverkaufen?«
     
    »Selbstverständlich ist auch das eine Arbeit. Eine Arbeit insofern, als wir, wenn er und seinesgleichen nicht so handelten, keine Eisenbahnen hätten.«
     
    »Aber es ist doch keine solche Arbeit wie die des Bauern oder des Gelehrten.«
     
    »Allerdings nicht; aber es ist Arbeit insofern, als die Tätigkeit dieses Mannes ein Ergebnis hat: die Eisenbahnen. Aber du findest ja, daß die Eisenbahnen wertlos sind.«
     
    »Nein, das ist eine andere Frage; ich bin bereit, zuzugeben, daß sie nützlich sind. Aber jeder Erwerb, der nicht im richtigen Verhältnis zu der darauf verwandten Arbeit steht, ist unehrenhaft.«
     
    »Aber wer soll denn das richtige Verhältnis bestimmen?«
     
    »Ich meine einen Erwerb auf unehrenhaftem Wege, durch Verschlagenheit«, sagte Ljewin, der selbst fühlte, daß er nicht imstande war, die Grenze zwischen ehrenhaft und unehrenhaft festzusetzen. »So der Erwerb bei Bankgeschäften«, fuhr er fort. »Dieses Übel, die Erwerbung gewaltiger Vermögen ohne Arbeit, wie das bei den Branntweinpächtern etwas Gewöhnliches war, hat nur seine Gestalt verändert. Le roi est mort, vive le roi! 3 Kaum hatte man dem Branntwein-Pachtwesen ein Ende gemacht, als auch schon die Eisenbahnen und Banken auf der Bildfläche erschienen: gleichfalls so ein Erwerb ohne Arbeit.«
     
    »Ja, das mag alles ganz richtig und scharfsinnig sein ... Kusch dich, Crack!« rief Stepan Arkadjewitsch seinem Hunde zu, der sich kratzte und das ganze Heu zerwühlte. Er war augenscheinlich von der Richtigkeit seiner Anschauung vollständig überzeugt und sprach daher ruhig und ohne Überstürzung. »Aber du hast die Grenze zwischen ehrenhafter und unehrenhafter Arbeit nicht festgelegt. Wenn ich ein größeres Gehalt beziehe als mein Bürovorsteher, obgleich er von den Geschäften mehr versteht als ich, ist das unehrenhaft?«
     
    »Das weiß ich nicht.«
     
    »Nun, dann will ich dir sagen: wenn du von deiner landwirtschaftlichen Arbeit einen Bargewinn von, sagen wir mal, fünftausend Rubeln hast, während unser bäuerlicher Landwirt, und wenn er noch soviel arbeitet, nicht mehr als fünfzig Rubel verdient, so ist das geradeso unehrenhaft, wie wenn ich mehr einnehme als der Bürovorsteher und Maltus mehr als ein Bahnmeister. Aber trotzdem sehe ich, daß die Gesellschaft diesen Leuten gegenüber eine eigentümliche, durch nichts begründete feindselige Stellung ein nimmt, und es scheint mir, daß da der Neid ...«
     
    »Nein, das ist ungerecht«, meinte Weslowski. »Von Neid kann dabei nicht die Rede sein; etwas Unsauberes haben diese Geschäfte doch an sich.«
     
    »Nein, erlaube«, bemerkte Ljewin gegen Oblonski. »Du sagst, es sei ungerecht, daß ich fünftausend Rubel einnehme und ein Bauer nur fünfzig: da hast du recht. Das ist auch ungerecht, und ich empfinde das, aber ...«
     
    »Wahrhaftig, das ist so. Mit welchem Rechte essen und trinken und jagen und faulenzen wir, und der Bauer kommt sein ganzes Leben lang nicht aus der Arbeit heraus?« sagte Wasenka Weslowski, der offenbar zum erstenmal in seinem Leben über diesen Gegenstand einigermaßen klar nachdachte und darum völlig aufrichtig redete.
     
    »Ja, du empfindest das; aber darum gibst du dein Gut doch noch nicht dem Bauern hin«, sagte Stepan Arkadjewitsch, wie wenn er Ljewin absichtlich reizen wollte.
     
    In der letzten Zeit schien sich zwischen den beiden Schwägern eine geheime Feindseligkeit herausgebildet zu haben; es war, als ob seit der Zeit, seit sie mit zwei Schwestern verheiratet waren, ein Wettstreit darin zwischen ihnen erwachsen wäre, wer sein Leben am besten gestalte, und jetzt kam diese Feindseligkeit darin zum Ausdruck, daß das Gespräch eine persönliche Färbung anzunehmen begann.
     
    »Ich gebe es deswegen nicht hin, weil das niemand von mir verlangt und weil, wenn ich es auch hingeben wollte, ich es

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