Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)
hindurch.
»Heda, ihr Jäger!« rief ihnen einer der Bauern zu, die bei einem ausgespannten Leiterwagen saßen. »Kommt her und vespert mit uns! Trinkt mit uns ein Schnäpschen!«
Ljewin blickte hin.
»Kommt nur ruhig her!« rief ein vergnügter, bärtiger Bauer mit rotem Gesicht und zeigte lachend seine weißen Zähne; er hob eine grünliche, in der Sonne glitzernde Stoffflasche in die Höhe.
»Qu'est ce qu'ils disent?« 1 fragte Weslowski.
»Sie laden uns ein, mit ihnen Schnaps zu trinken. Wahrscheinlich haben sie eben die Wiesen unter sich geteilt. Ich hätte schon Lust, einen Schluck zu nehmen«, sagte Ljewin nicht ohne Hinterlist, da er hoffte, Weslowski werde sich durch den Schnaps verführen lassen und zu ihnen hingehen.
»Warum wollen sie uns denn freihalten?«
»So aus gutem Herzen; sie sind vergnügt. Im Ernst, gehen Sie doch zu ihnen. Sie werden auf Ihre Kosten kommen.«
»Allons, c'est curieux.« 2
»Gehen Sie nur, gehen Sie nur! Den Weg nach der Mühle werden Sie schon finden!« rief ihm Ljewin zu und sah, sich umblickend, mit Vergnügen, daß Weslowski, den Oberkörper vornübergebeugt, mit den müden Beinen stolpernd und die Flinte in der ausgestreckten Hand haltend, sich aus dem Sumpf zu den Bauern hin herausarbeitete.
»Komm du doch auch!« rief der Bauer Ljewin zu. »Keine Bange! Sollst ein Stück Pastete kriegen!«
Ljewin hatte die größte Lust, einen Schluck Branntwein zu trinken und einen Bissen Brot zu essen. Er war ganz schwach geworden und fühlte, daß er die Füße, die ihm den Dienst versagten, nur mit Mühe aus dem Moorgrund herausbekam. Einen Augenblick war er unschlüssig. Aber da stand sein Hund vor. Und sofort war alle Müdigkeit verschwunden, und leichten Schrittes ging er durch den Morast zu ihm hin. Unmittelbar vor seinen Füßen flog eine Bekassine auf; er schoß und traf – aber der Hund blieb stehen, ohne sich zu rühren. »Faß!« Dicht vor den Füßen des Hundes erhob sich eine zweite. Ljewin schoß. Aber es war eben ein Unglückstag für ihn; er hatte wieder gefehlt, und als er hinging, um die erlegte Bekassine zu suchen, da fand er auch diese nicht. Er durchstöberte das Riedgras in weiter Ausdehnung; aber Laska glaubte gar nicht, daß er getroffen habe, und als er sie auf die Suche schickte, stellte sie sich nur, als ob sie suchte, ohne es in Wirklichkeit zu tun.
Also auch wenn Wasenka nicht dabei war, dem Ljewin die Schuld an seinem Mißgeschick beigemessen hatte, wollte ihm die Sache nicht gelingen. Bekassinen waren auch hier in Menge vorhanden; aber Ljewin tat einen Fehlschuß nach dem andern.
Die schrägen Strahlen der Sonne waren noch recht heiß; die von Schweiß völlig durchtränkten Kleider klebten ihm am Leibe; der linke Stiefel, der voll Wasser gelaufen war, hatte ein tüchtiges Gewicht bekommen und verursachte ein schmatzendes Geräusch; über sein vom Pulverdampf beschmutzes Gesicht flossen die Schweißtropfen herab; im Munde hatte er einen bitteren Geschmack, in der Nase den Geruch von Schießpulver und von Moorerde, in den Ohren den unaufhörlichen Ton des Schmatzens der Bekassinen; die Flintenläufe waren nicht mehr zum Anrühren, so heiß waren sie geworden; sein Herz klopfte mit schnellen, kurzen Schlägen; die Hände zitterten ihm vor Erregung; die müden Beine stolperten über die Erdhöcker und schleppten sich nur mühsam durch den Schlamm. Aber trotzdem ging er weiter und fuhr fort zu schießen. Endlich, nachdem er wieder einen schmählichen Fehlschuß getan hatte, warf er seine Flinte und seinen Hut auf den Boden.
›Nein, ich muß erst wieder zur Ruhe kommen!‹ sagte er zu sich selbst. Er hob Flinte und Hut auf, rief Laska dicht zu sich heran und ging aus dem Sumpf heraus. Als er aufs Trockene gelangt war, setzte er sich auf eine kleine Erhöhung, zog sich den Stiefel aus und goß das Wasser aus; dann ging er wieder an den Sumpf, trank ein paar Schlucke von dem moorig schmeckenden Wasser, benetzte die heiß gewordenen Läufe seiner Flinte und wusch sich Gesicht und Hände. Nachdem er sich so erfrischt hatte, ging er wieder nach einer Stelle, wo er soeben eine Bekassine sich hatte setzen gesehen, mit der festen Absicht, nicht wieder hitzig zu werden.
Er wollte ruhig sein; aber es war dieselbe Geschichte wie zuvor. Sein Finger drückte auf den Abzug, bevor er noch ordentlich auf den Vogel gezielt hatte. Es ging immer schlechter und schlechter.
Er hatte nur fünf Stück in
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