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Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)

Titel: Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Leo Tolstoi
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ist bei der Erziehung der Kinder natürlich nicht zu rechnen. Aber mit Hilfe guter Menschen werde ich sie schon erziehen; nur wenn dann wieder eine Schwangerschaft kommen sollte ...‹ Und es kam ihr der Gedanke, daß es doch eigentlich mit Unrecht heiße, der auf das Weib gelegte Fluch bestehe darin, mit Schmerzen Kinder zu gebären. ›Gebären, das ist noch nicht das Schlimmste; aber die Schwangerschaft, das ist eine Marter‹, dachte sie und vergegenwärtigte sich ihre letzte Schwangerschaft und den Tod dieses letzten Kindchens. Sie mußte dabei an das Gespräch denken, das sie in dem Einkehrhause mit einer jungen Frau geführt hatte. Auf die Frage, ob sie Kinder habe, hatte die hübsche junge Frau fröhlich geantwortet:
     
    ›Ich hatte ein Töchterchen; aber Gott hat es mir wieder genommen; in der Fastenzeit habe ich es be graben.‹
     
    ›Da bist du wohl sehr traurig darüber gewesen?‹ hatte Darja Alexandrowna gefragt.
     
    ›Weshalb sollte ich traurig sein? Der Alte hat schon Enkel genug. Man hat nur Sorge davon. Weder arbeiten kann man noch sonst etwas tun. Es ist nur ein Hindernis.‹
     
    Diese Antwort hatte für Darja Alexandrowna trotz des gutherzigen, freundlichen Wesens der jungen Frau etwas Abstoßendes gehabt; aber jetzt kamen ihr diese Worte unwillkürlich wieder in den Sinn. In diesen herzlosen, eigensüchtigen Worten steckte doch auch ein gut Teil Wahrheit, meinte sie.
     
    ›Ja, und überhaupt‹, dachte Darja Alexandrowna, indem sie ihr ganzes Leben während all dieser Jahre ihrer Ehe überblickte, ›was man dabei durchzumachen hat: die Schwangerschaft, die Übelkeit, die Benommenheit, die Gleichgültigkeit gegen alles und vor allen Dingen die körperliche Entstellung. Kitty, die junge, hübsche Kitty, auch die, wie häßlich ist sie geworden, und ich sehe, wenn ich schwanger bin, ganz mißgestaltet aus, das weiß ich. Dann das Gebären, die Schmerzen dabei, diese gräßlichen Schmerzen, dieser letzte Augenblick ... dann das Nähren, diese schlaflosen Nächte, diese furchtbaren Leiden ...‹
     
    Darja Alexandrowna fuhr bei der bloßen Erinnerung an die aufgesprungenen Brustwarzen zusammen, ein Übel, das sie fast bei jedem Kinde durchgemacht hatte. ›Dann die Krankheiten der Kinder, diese ewige Angst; dann die Erziehung, die häßlichen Neigungen‹ (sie erinnerte sich an die Übeltat der kleinen Mascha in den Himbeeren), ›der Unterricht, das Lateinische – alles das macht soviel Kopfzerbrechen und soviel Mühe. Und zu alledem dann noch der Tod dieser Kinder, die einem so schwer geworden sind.‹ Und wieder tauchte vor ihrem geistigen Blick eine schreckliche Erinnerung auf, die unaufhörlich auf ihrem Mutterherzen lastete, die Erinnerung an den Tod des letzten Kindchens, das als Säugling an der Bräune gestorben war, und an sein Begräbnis: wie teilnahmlos alle Anwesenden angesichts dieses kleinen rosa Särgleins gewesen waren und welchen herzzerreißenden Schmerz sie selbst ganz allein empfunden hatte beim Anblick der blassen kleinen Stirn mit den lockigen Härchen an den Schläfen und des wie in Verwunderung geöffneten Mündchens, das aus dem Sarge noch in dem Augenblick hervorgeschaut hatte, als der rosa Deckel mit dem Kreuz aus Goldborte daraufgelegt wurde.
     
    ›Und wozu das alles? Was ist das Ergebnis von alledem? Daß ich, ohne auch nur einen Augenblick Ruhe zu haben, bald schwanger, bald nährend, stets gereizt und mürrisch, selbst gemartert und andern eine Qual, meinem Manne eine widerwärtige Last, mein Leben dahinbringe und unglückliche, schlecht erzogene, bettelarme Kinder heranwachsen. Schon jetzt würde ich nicht wissen, wie wir durchkommen sollten, wenn wir nicht den Sommer bei Ljewins verlebten. Konstantin und Kitty sind ja freilich so taktvoll, uns das nicht fühlen zu lassen; aber es kann doch nicht so weitergehen. Auch bei ihnen werden sich Kinder einstellen, und es wird ihnen dann nicht mehr möglich sein, uns zu unterstützen; sie schränken sich ja auch jetzt schon ein. Oder wird uns etwa Papa helfen, der doch so gut wie nichts für sich zurückbehalten hat? Somit werde ich nicht einmal imstande sein, die Kinder aus eigener Kraft aufzuziehen, sondern höchstens mit Hilfe anderer, unter Demütigungen für mich. Nun, und setzen wir den günstigsten Fall: daß mir keine Kinder mehr sterben und ich sie so leidlich erziehe. In diesem günstigsten Falle ist das Ergebnis eben nur, daß sie nicht gerade Taugenichtse sind. Das ist alles, was ich zu wünschen wagen

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