Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)
einem Fleck schwebten, bald nach den Menschen, die sich in der dunklen, staubigen Darre umherbewegten; und es kamen ihm seltsame Gedanken:
›Wozu geschieht das alles?‹ dachte er. ›Wozu stehe ich hier und halte sie zur Arbeit an? Warum tummeln sie sich alle so geschäftig und bemühen sich, in meiner Gegenwart ihren Eifer zu zeigen? Warum müht sich diese alte Matrona, meine gute Bekannte, so ab? (Ich habe sie geheilt, als bei dem Brande ihres Hauses ein Balken auf sie gefallen war)‹, dachte er, indem er nach einer hageren alten Frau blickte, die, mit der Harke das Korn heranholend, eifrig mit den bloßen, von der Sonne schwarzgebrannten Füßen auf dem unebenen, harten Dreschboden hin und her ging. ›Damals ist sie noch wieder gesund geworden; aber wenn nicht heute oder morgen, so doch in zehn Jahren wird man sie einscharren, und es wird nichts von ihr übrigbleiben; auch von dieser geputzten Dirne da im roten Rock; die mit so geschickten, weichen Bewegungen die Ähren aus der Spreu zurückwirft, wird einmal nichts übrigbleiben, auch sie wird man einscharren, und diesen scheckigen Wallach, und den sehr bald‹, dachte er, indem er auf das schwer an seinem Bauche tragende und hastig mit aufgeblähten Nüstern atmende Pferd blickte, das unablässig auf das abschüssige, unter seinem Gewichte sich bewegende Tretrad trat. ›Auch dieses Tier wird man einscharren, und auch den Zureicher Fjodor wird man einscharren, mit seinem krausen Bart, der ganz voll Spreu sitzt, und mit seinem Hemd, das auf seiner weißen Schulter ein Loch hat. Und jetzt reißt er da die Garben auf und kommandiert und schreit die Weiber an und schiebt mit einer schnellen Bewegung den Riemen auf dem Schwungrad zurecht. Und was die Hauptsache ist: nicht nur sie, sondern auch mich wird man einscharren, und es wird nichts von mir übrigbleiben. Wozu also all das?‹
Diesen Gedanken gab er sich hin und blickte gleichzeitig auf die Uhr, um zu berechnen, wieviel in einer Stunde gedroschen würde. Er mußte das wissen, um danach die Arbeitsmenge für den Tag festzusetzen.
›Sie dreschen schon fast eine Stunde und haben erst den dritten Haufen angefangen‹, dachte Ljewin, trat zu dem Zureicher und befahl ihm, indem er das Rasseln der Maschine zu übertönen versuchte, loser zuzureichen.
»Du gibst zuviel auf einmal, Fjodor! Siehst du, es verstopft sich, und dann schafft es nicht ordentlich. Du mußt es gleichmäßiger machen!«
Fjodor, ganz schwarz von dem Staube, der ihm an dem schweißigen Gesicht klebte, schrie irgend etwas zur Erwiderung, machte es aber nicht so, wie Ljewin es wollte.
Ljewin ging an die Trommel heran, schob Fjodor zur Seite und fing selbst an zuzureichen.
Nachdem er bis zum Mittagessen der Bauern gearbeitet hatte, bis zu dem es nicht mehr lange gewesen war, verließ er mit dem Zureicher zusammen die Getreidedarre und knüpfte mit ihm ein Gespräch an; sie waren neben einem Schober von gelben Roggengarben stehengeblieben, der auf dem Dreschboden zu Saatkorn sorgsam aufgebaut war.
Der Zureicher war in einem entfernten Dorf zu Hause, in demselben Dorf, wo Ljewin früher Land auf genossenschaftlicher Grundlage abgegeben hatte. Jetzt war das Land an den Herbergswirt verpachtet.
Ljewin sprach mit dem Zureicher Fjodor über dieses Land und fragte ihn, ob nicht vielleicht Platon, ein reicher, braver Bauer aus diesem Dorfe, Lust haben werde, es für das nächste Jahr zu pachten.
»Der Preis ist zu hoch, Konstantin Dmitrijewitsch; so viel kann Platon nicht herausarbeiten«, antwortete der Bauer und suchte die Ähren hervor, die ihm an der schweißigen Brust unter das Hemd geraten waren.
»Aber wie stellt es denn Kirillow an, daß er es herauswirtschaftet?«
»Mitjucha« (so nannte der Bauer verächtlich den Herbergswirt Dmitri Kirillow), »wie wird denn der nicht soviel herausschlagen, Konstantin Dmitrijewitsch! Der preßt die Leute aus und versteht sich auf seinen Vorteil. Der hat kein Erbarmen mit einem Christenmenschen. Dagegen Onkel Fokanütsch« (so nannte er den alten Platon), »der zieht keinem das Fell über die Ohren. Mal kreditiert er, mal läßt er etwas ab. Auch hält er nach der Ernte nicht Nachlese. Er hat ein menschliches Herz.«
»Aber warum läßt er denn etwas ab?«
»Ja, er tut es eben. Wissen Sie, die Menschen sind verschieden. Der eine lebt nur für seinen eigenen Vorteil, wie dieser Mitjucha, und stopft sich nur seinen Bauch voll; aber Fokanütsch,
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