Anna Karenina - Vollständige Ausgabe (German Edition)
für ihn mitgebrachten Schafpelz anzog, sich wohlvermummt in den Schlitten setzte und dahinfuhr und dabei über die von ihm in Aussicht genommenen Anordnungen auf dem Gute nachdachte und das eine Seitenpferd beobachtete, das früher sein Reitpferd gewesen war, aus einem Donischen Gestüt, ein schon etwas abgerackertes, aber immer noch tüchtiges Tier: da gelangte er zu einer ganz anderen Auffassung seines letzten Erlebnisses. Er fühlte sich wieder als das, was er war, und wollte nichts anderes sein. Nur besser wollte er jetzt werden, als er früher gewesen war. Erstens nahm er sich vor, von nun an nicht mehr auf ein außerordentliches Glück, wie er es sich von der Ehe versprochen hatte, zu hoffen und nicht mehr infolge einer solchen Hoffnung die Gegenwart gering zu schätzen. Zweitens wollte er sich nicht wieder von garstiger Sinnlichkeit hinreißen lassen, weil die Erinnerung an frühere Fälle solcher Schwäche ihn damals, als er seinen Heiratsantrag zu machen beabsichtigte, so furchtbar gemartert hatte. Ferner gedachte er seines Bruders Nikolai und gab sich das Wort, ihn nie wieder zu vergessen, sich stets Kenntnis über sein Ergehen zu verschaffen und ihn nie aus den Augen zu verlieren, um zur Hilfe bereit zu sein, wenn es ihm schlecht ginge. Daß es bald soweit sein werde, daran konnte er nicht zweifeln. Auch was sein Bruder zu ihm über den Kommunismus gesagt hatte, ohne daß er seinerseits dabei ernstlich Stellung zu diesem Gegenstande genommen hätte, brachte ihn jetzt zum Nachdenken. Er hielt eine gänzliche Umgestaltung der sozialen Verhältnisse für ein Ding der Unmöglichkeit, aber er hatte immer seinen eigenen Überfluß gegenüber der Armut der Masse als Ungerechtigkeit empfunden und nahm sich nun, um das Gefühl einer vollen Berechtigung zu haben, fest vor, wenn er auch schon vorher viel gearbeitet und ohne Üppigkeit gelebt hatte, jetzt noch mehr zu arbeiten und sich noch weniger Wohlleben zu gestatten. Und daß er zur Verwirklichung aller dieser Absichten die Kraft in sich finden werde, schien ihm so sicher, daß er den ganzen Weg in den angenehmsten Träumereien verbrachte. Mit einem mutigen Gefühle der Hoffnung auf ein neues, besseres Leben fuhr er bald nach acht Uhr an seinem Hause vor.
Aus den Fenstern seiner alten Kinderfrau und jetzigen Wirtschafterin Agafja Michailowna fiel ein Lichtschein auf den schneebedeckten Platz vor dem Hause. Sie schlief noch nicht. Der Diener Kusma, den sie geweckt hatte, kam verschlafen und barfuß auf die Freitreppe heraus. Die Hühnerhündin Laska kam gleichfalls herausgesprungen, wobei sie den Diener beinahe umstieß, und rieb sich winselnd an Ljewins Knien; sie hob sich in die Höhe und hätte ihm gern die Vorderfüße auf die Brust gesetzt, wagte dies aber doch nicht.
»Sie sind ja schnell wieder zurückgekommen, Väterchen«, sagte Agafja Michailowna.
»Ich bekam Heimweh, Agafja Michailowna. Auf Besuch sein ist schön, aber zu Hause ist es doch am besten«, antwortete er ihr und ging in sein Zimmer.
Die Kerze, die er hineintrug, erhellte die einzelnen Teile des Zimmers einen nach dem anderen. Die ihm so wohlbekannten Stücke der Einrichtung traten aus dem Dunkel hervor: die Hirschgeweihe, die Bücherregale, der Spiegel, der Ofen mit der Ventilation, die schon längst einer Ausbesserung bedurfte, das altväterische Sofa, der große Tisch, auf dem Tische ein aufgeschlagenes Buch, ein zerbrochener Aschenbecher, ein Heft, in dem er geschrieben hatte. Beim Anblick aller dieser Gegenstände überkam ihn für einen Augenblick ein Zweifel, ob es möglich sein werde, jenes neue Leben ins Werk zu setzen, das er sich unterwegs so schön ausgemalt hatte. Alle diese seine bisherigen Lebensbegleiter schienen ihn gleichsam in ihre Arme zu schließen und zu ihm zu sagen: ›Nein, du entrinnst uns nicht und wirst nie ein anderer werden; du bleibst immer derselbe, der du gewesen bist: mit deinen Zweifeln, mit deiner steten Unzufriedenheit mit dir selbst, mit deinen vergeblichen Versuchen, dich zu bessern, und deinen sich immer wiederholenden Rückfällen, und mit deinem lebenslänglichen Warten auf ein Glück, das dir nicht beschieden ist und das du nicht erringen kannst.‹
Aber während die leblosen Gegenstände so zu ihm sprachen, sagte ihm eine andere Stimme in seinem Inneren, man dürfe sich nicht zu einem Knechte der Vergangenheit herabwürdigen, und der Mensch könne aus sich alles machen. Und auf diese Stimme hörend, ging er in die Ecke, wo
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