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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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jeden.«
    Konstantin Ljewin fühlte sich moralisch an die Wand gedrückt; daher geriet er in Hitze und kam unwillkürlich mit
    dem Hauptgrunde seiner Gleichgültigkeit gegen das Beste der Gesamtheit heraus.
    »Es mag sein, daß das alles ganz gut ist; aber wozu soll ich mir Sorge machen um die Einrichtung ärztlicher
    Beratungsstellen, die ich doch nie benutzen werde, und um die Einrichtung von Schulen, wohin ich meine Kinder nicht
    schicken werde und wohin auch die Bauern ihre Kinder nicht werden schicken wollen; und ich bin mir noch nicht
    einmal sicher, ob es zweckmäßig ist, daß die Bauernkinder hingehen«, fügte er hinzu.
    Sergei Iwanowitsch war einen Augenblick ganz überrascht über diese unerwartete Anschauungsweise; dann aber
    entwarf er sofort einen neuen Angriffsplan.
    Er schwieg ein Weilchen, nahm eine Angel heraus, warf sie an einer anderen Stelle hinein und wandte sich dann
    lächelnd zu seinem Bruder.
    »Na, erlaube mal ... Erstens, eine ärztliche Beratungsstelle hat sich als ein notwendiges Bedürfnis
    herausgestellt. Wir haben doch eben erst für Agafja Michailowna den Landschaftsarzt von wer weiß wie weit her holen
    lassen müssen.«
    »Na, ich glaube, daß ihre Hand doch krumm bleiben wird.«
    »Das ist doch noch die Frage ... Ferner wird ein Bauer, ein Arbeiter, der lesen und schreiben kann, für dich
    dadurch brauchbarer und wertvoller.«
    »Nein, da kannst du fragen, wen du willst«, antwortete Konstantin Ljewin in entschiedenem Tone, »ein Mensch, der
    lesen und schreiben kann, ist als Arbeiter erheblich schlechter. Na, und die Wege, die lassen sich nicht
    ausbessern; und die Brücken, kaum daß sie fertig sind, werden sie auch schon gestohlen.«
    »Übrigens«, erwiderte mit zusammengezogenen Brauen Sergei Iwanowitsch, der Einreden nicht leiden konnte, und
    namentlich nicht solche, die unaufhörlich von einem Punkte zum andern hin und her sprangen und ohne allen
    Zusammenhang neue Gesichtspunkte einführten, so daß man nicht mehr wußte, worauf man antworten sollte. »Übrigens,
    darum handelt es sich nicht. Erlaube einmal! Gibst du zu, daß die Bildung für das Volk ein Segen ist?«
    »Ja, das gebe ich zu«, erwiderte Ljewin, ohne zu überlegen, und wurde sich gleich darauf bewußt, daß er etwas
    gesagt hatte, was seiner Ansicht nicht entsprach. Er merkte, daß, nachdem er dies zugegeben hatte, ihm bewiesen
    werden würde, daß er vorher leeres Zeug geredet habe, das eines vernünftigen Sinnes entbehre. Auf welche Weise ihm
    das bewiesen werden würde, wußte er noch nicht; aber daß es ein unzweifelhafter, logischer Beweis sein werde, das
    wußte er, und nun erwartete er diesen Beweis.
    Die Widerlegung gestaltete sich weit einfacher, als es Konstantin Ljewin erwartet hatte.
    »Wenn du sie als einen Segen anerkennst«, sagte Sergei Iwanowitsch, »so kannst du als Ehrenmann nicht umhin, ein
    solches Werk zu lieben und dich dafür zu interessieren, und daher muß es dir eine Herzenssache sein, dabei
    mitzuarbeiten.«
    »Aber ich gebe ja noch gar nicht zu, daß dieses Werk gut ist«, warf Konstantin Ljewin errötend ein.
    »Wie? Aber du sagtest doch eben erst ...«
    »Ich meine, ich erkenne es weder als gut noch als möglich an.«
    »Das letzte kannst du nicht wissen, ehe du nicht dafür alle Anstrengungen gemacht hast.«
    »Na, wollen mal annehmen«, erwiderte Ljewin, obwohl er es ganz und gar nicht annahm, »wollen mal annehmen, die
    Sache verhielte sich so; so sehe ich trotzdem nicht ein, warum ich mir damit Mühe machen soll.«
    »Wie meinst du das?«
    »Nein, wenn wir nun doch einmal in ein Gespräch darüber gekommen sind«, sagte Ljewin, »so erkläre mir die Sache
    auch vom philosophischen Standpunkte aus.«
    »Ich verstehe nicht, was hierbei die Philosophie soll«, versetzte Sergei Iwanowitsch, und zwar, wie es Ljewin
    vorkam, in einem Tone, als wolle er dem Bruder nicht das Recht zuerkennen, über Philosophie mitzureden. Und darüber
    ärgerte sich Ljewin.
    »Was sie hierbei soll? Das will ich dir gleich sagen!« begann er hitzig. »Ich glaube, daß die Triebfeder aller
    unserer Handlungen doch immer das persönliche Glück ist. Hier nun in unseren Verwaltungseinrichtungen auf dem Lande
    vermag ich als Edelmann nichts zu erblicken, was zu meinem Wohlbefinden beitragen könnte. Die Wege sind nicht
    besser geworden und können nicht besser werden; meine Pferde fahren mich auch auf schlechten Wegen. Ärzte und
    ärztliche Beratungsstellen habe ich nicht nötig. Den Friedensrichter

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