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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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habe ich nicht nötig; ich habe mich noch nie
    an ihn gewendet und werde mich nie an ihn wenden. Schulen sind für mich nicht nur entbehrlich, sondern sogar, wie
    ich dir schon gesagt habe, nachteilig. Ich habe von den Verwaltungseinrichtungen auf dem Lande weiter nichts als
    die Verpflichtung, achtzehn Kopeken die Deßjatine zu bezahlen, nach der Stadt zu fahren, dort in einem Bette zu
    schlafen, wo ich von Wanzen zerbissen werde, und alles mögliche sinnlose, widerwärtige Gerede mit anzuhören. Dazu
    aber treibt mich kein persönliches Interesse an.«
    »Erlaube«, unterbrach ihn Sergei Iwanowitsch lächelnd, »ein persönliches Interesse war es auch nicht, das uns
    dazu antrieb, für die Aufhebung der Leibeigenschaft zu wirken, und wir haben doch dafür gewirkt.«
    »Nein«, unterbrach ihn seinerseits wieder Konstantin, der immer hitziger wurde. »Die Aufhebung der
    Leibeigenschaft, das war eine ganz andere Sache. Dabei lag allerdings ein persönliches Interesse vor. Jene Zustände
    lasteten wie ein schwerer Druck auf uns, auf allen rechtlich denkenden Menschen, und diesen Druck wollten wir gern
    loswerden. Aber dazu habe ich keine Lust, als Kreistagsmitglied dazusitzen, darüber zu verhandeln, wieviel Arbeiter
    zur Ausräumung der Abortgruben erforderlich sind und wie die Wasserleitung in der Stadt angelegt werden soll, wo
    ich doch gar nicht wohne, oder Geschworener zu sein und über einen Bauern zu Gericht zu sitzen, der einen Schinken
    gestohlen hat, und sechs Stunden lang all den Unsinn mit anzuhören, den die Verteidiger und Staatsanwälte
    zusammendreschen, und wie der Vorsitzende meinen alten dämlichen Aljoschka fragt: ›Gestehen Sie zu, Herr
    Angeklagter, die in Entwendung eines Schinkens bestehende Handlung begangen zu haben?‹ und wie der dann antwortet:
    ›Hä?‹«
    Konstantin Ljewin war von dem eigentlichen Thema bereits ganz abgekommen und fing an, den Vorsitzenden und den
    dämlichen Aljoschka nachzuahmen; aber seiner Meinung nach gehörte das alles zur Sache.
    Sergei Iwanowitsch jedoch zuckte mit den Achseln.
    »Nun, was willst du denn eigentlich mit alledem sagen?«
    »Ich will damit nur sagen, daß ich die Rechte, die mich und mein eigenes Interesse berühren, jederzeit mit
    meiner ganzen Kraft verteidigen werde, wie ich denn damals, als bei uns Studenten Haussuchungen gehalten und unsere
    Briefe von den Gendarmen gelesen wurden, bereit war, mit aller Kraft diese Rechte zu verteidigen und für mein Recht
    auf Bildung und Freiheit einzutreten. Ich habe Verständnis für die Wehrpflicht, die das Schicksal meiner Kinder,
    meiner Brüder sowie mein eigenes berührt; über alles, was mich selbst angeht, bin ich bereit, ernstlich
    nachzudenken; aber über die Verwendung der vierzigtausend Rubel Landschaftsgelder mitzuberaten oder über den halb
    blödsinnigen Aljoschka zu Gericht zu sitzen, dafür habe ich kein Verständnis, und dazu bin ich nicht imstande.«
    Konstantin Ljewin sprach, als ob ein Damm, der seine Worte bisher gehemmt hatte, plötzlich gebrochen wäre.
    Sergei Iwanowitsch lächelte.
    »Aber es kann doch kommen, daß du selbst morgen vor Gericht gezogen wirst; nun, würde es dir dann an genehmer
    sein, von dem alten Kriminalgericht abgeurteilt zu werden?«
    »Ich werde nicht vor Gericht gezogen werden. Ich schneide niemandem den Hals ab und habe kein Gericht nötig.
    Weißt du«, fuhr er fort und sprang wieder auf etwas ganz Fremdartiges über, »unsere landschaftlichen Einrichtungen
    und was so drum und dran hängt, das kommt mir alles gerade so vor wie die Birkenstämmchen, die wir zu Pfingsten in
    die Erde zu stecken pflegten, damit es aussehen sollte wie ein Wäldchen, und ich kann diese Birkenstämmchen nicht
    von Herzen begießen und nicht an ihr Fortkommen glauben.«
    Sergei Iwanowitsch zuckte nur mit den Achseln, um durch diese Gebärde seine Verwunderung darüber auszudrücken,
    woher in aller Welt auf einmal diese Birkenstämmchen in ihre Erörterungen hineingeraten seien, obwohl er sofort
    verstanden hatte, was sein Bruder damit sagen wollte.
    »Entschuldige, aber auf diese Weise ist keine Auseinandersetzung möglich«, bemerkte er. Aber Konstantin Ljewin
    legte Wert darauf, sich wegen jenes Mangels zu rechtfertigen, den er an sich kannte, nämlich wegen seiner
    Gleichgültigkeit gegen das Wohl der Gesamtheit, und fuhr fort:
    »Ich glaube«, sagte er, »daß keine Tätigkeit dauerhaft und ersprießlich sein kann, wenn sie nicht im
    persönlichen Interesse wurzelt. Das ist

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