Anna Karenina
zwar beendet war, ohne daß er hatte zu lügen brauchen. Außerdem war ihm eine unklare
Erinnerung haftengeblieben, daß das, was dieser gute, liebe Alte gesagt hatte, ganz und gar nicht so töricht sei,
wie es ihm am Anfang vorgekommen war, und daß etwas darin liege, worüber er sich klarwerden müsse.
›Natürlich nicht jetzt gleich‹, dachte Ljewin, ›sondern später einmal.‹ Ljewin hatte jetzt in höherem Grade als
früher die Empfindung, daß etwas in seiner Seele unklar und unrein sei und daß er sich in religiöser Hinsicht in
derselben Lage befinde, die er bei anderen so deutlich wahrnahm und so wenig leiden konnte und die er auch seinem
Freunde Swijaschski zum Vorwurf machte.
Den Abend dieses Tages brachte Ljewin mit seiner Braut bei Dolly zu; er war besonders vergnügt und sagte zu
Stepan Arkadjewitsch zur Erklärung der aufgeräumten Stimmung, in der er sich befand, er sei vergnügt wie ein Hund,
den man dazu abrichtet, durch den Reifen zu springen, und der, nachdem er endlich das, was von ihm verlangt wird,
begriffen und ausgeführt hat, nun aufjohlt und schwanzwedelnd vor Entzücken auf die Tische und Fensterbretter
springt.
2
Am Hochzeitstage durfte Ljewin dem Brauche gemäß (auf der genauen Innehaltung aller Bräuche bestanden die
Fürstin und Darja Alexandrowna mit großer Strenge) seine Braut nicht sehen und speiste in seinem Hotel zu Mittag,
und zwar mit drei Junggesellen zusammen, die sich zum Teil zufällig zu ihm gefunden hatten. Dies waren: erstens
Sergei Iwanowitsch; dann Katawasow, ehemals sein Kommilitone auf der Universität, jetzt Professor der
Naturwissenschaften, den Ljewin auf der Straße getroffen und mit sich ins Hotel geschleppt hatte; und endlich
Tschirikow, Friedensrichter in Moskau, Ljewins Genosse auf der Bärenjagd und jetzt sein Hochzeitsmarschall. Das
Mittagessen gestaltete sich höchst vergnügt. Sergei Iwanowitsch war in heiterster Laune und hatte seine Freude an
Katawasows eigenartigem Wesen. Sobald Katawasow merkte, daß seine Art Verständnis und Würdigung fand, begann er
geflissentlich, sie zur Schau zu stellen. Tschirikow beteiligte sich fröhlich und gutmütig an jedem Gespräche.
»Wenn man so bedenkt«, sagte Katawasow und zog dabei nach einer Gewohnheit, die er sich auf dem Lehrstuhl zu
eigen gemacht hatte, die Worte in die Länge, »was für ein hochbefähigter junger Mensch unser Freund Konstantin
Dmitrijewitsch gewesen ist! Ich rede von jemand, der nicht hier ist; denn dieser Konstantin Dmitrijewitsch lebt
nicht mehr. Auch liebte er damals, als er von der Universität abging, die Wissenschaft und interessierte sich für
das Wohl der Menschheit; aber jetzt hat er die eine Hälfte seiner Fähigkeiten darauf gerichtet, sich selbst zu
betrügen, und die andere, diesen Betrug zu rechtfertigen.«
»Einen entschiedeneren Gegner der Ehe als Sie habe ich noch nie gefunden«, sagte Sergei Iwanowitsch.
»Nicht doch, ich bin kein Gegner der Ehe. Ich bin nur für Arbeitsteilung. Leute, die nichts anderes
hervorbringen können, die sollen Menschen hervorbringen; die übrigen aber sollen an der geistigen Bildung und dem
Glück der Menschheit arbeiten. Das ist meine Auffassung. Unzählige versuchen, die beiden Berufsarten miteinander zu
vereinigen; ich gehöre nicht zu diesen.«
»Wie glücklich werde ich sein, wenn ich einmal hören werde, daß Sie sich verliebt haben!« sagte Ljewin. »Bitte,
laden Sie mich dann zu Ihrer Hochzeit ein.«
»Verliebt bin ich schon.«
»Ja, in den Tintenfisch. Weißt du«, wandte sich Ljewin zu seinem Bruder, »Michail Semjonowitsch schreibt eine
Abhandlung über die Ernährung und ...«
»Na, richten Sie keine Verwirrung an! Aber es ist ja ganz gleichgültig, worüber ich schreibe. Die Hauptsache
ist, daß ich wirklich den Tintenfisch liebe.«
»Aber der wird Sie nicht hindern, eine Frau zu lieben.«
»Der Tintenfisch würde mir nicht hinderlich sein, wohl aber die Frau.«
»Wieso denn?«
»Das werden Sie schon noch sehen. Sie lieben ja die Landwirtschaft und die Jagd; na, da passen Sie mal auf!«
»Heute war Archip hier und sagte, es gäbe in Prudnoje eine Unmenge Elentiere und zwei Bären«, sagte
Tschirikow.
»Na, die müssen Sie also schon ohne mich schießen.«
»Das wird wohl nicht anders gehen«, erwiderte Sergei Iwanowitsch. »Und auch für die Zukunft kannst du nur der
Bärenjagd Lebewohl sagen; da wird dich deine Frau nicht mehr hinlassen!«
Ljewin lächelte. Die Vorstellung, daß
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