Anna Karenina
Alexandrowna und
Stepan Arkadjewitsch, alle bereits in voller Festkleidung, warteten schon auf ihn, um ihn mit dem Heiligenbilde zu
segnen. Es war jetzt keine Zeit mehr zu verlieren. Darja Alexandrowna mußte noch einmal nach ihrer Wohnung fahren,
um ihren Sohn abzuholen, der, schön pomadisiert und mit gebrannten Löckchen, dazu bestimmt war, das Heiligenbild
vor der Braut herzutragen. Dann mußte der eine Wagen geschickt werden, den Hochzeitsmarschall zu holen, und der
andere, mit dem Sergei Iwanowitsch fahren sollte, nachher zurückgesandt werden ... Überhaupt waren da viele höchst
verwickelte Erwägungen nötig. Eins aber stand fest: daß man sich nicht lange aufhalten durfte, denn es war schon
halb sieben.
Das Segnen mit dem Heiligenbilde war nicht sehr wirkungsvoll. Stepan Arkadjewitsch stellte sich in komisch
feierlicher Haltung neben seiner Frau auf, nahm das Heiligenbild, hieß Ljewin sich bis zur Erde verneigen, segnete
ihn mit einem gutmütigen, etwas spöttischen Lächeln und küßte ihn dreimal. Das gleiche tat dann auch Darja
Alexandrowna und fuhr darauf schleunigst ab, nachdem sie vorher den für die Wagen festgesetzten Fahrplan schnell
noch einmal wieder umgestoßen hatte.
»Nun, dann wollen wir es so machen: bringe du ihn in unserm Wagen hin, und Sergei Iwanowitsch ist wohl so gut,
zum Hochzeitsmarschall zu fahren und uns nachher den Wagen zu schicken.«
»Schön, sehr gern.«
»Ich fahre sofort mit ihm hin. Ist dein Gepäck schon weggeschafft?« fragte Stepan Arkadjewitsch.
»Jawohl, jawohl«, antwortete Ljewin und befahl Kusma, ihm beim Ankleiden behilflich zu sein.
3
Eine große Volksmenge, namentlich aus Frauen bestehend, umgab das Tor der für die Trauungsfeier hell
erleuchteten Kirche. Die nicht weit genug nach der Mitte hatten vordringen können, drängten sich um die Fenster und
blickten, einander stoßend und sich zankend, durch deren Gitter.
Mehr als zwanzig Wagen bildeten bereits auf der Straße nach Anweisung der Schutzleute eine lange Reihe. Ein
Polizeioffizier stand, ohne Rücksicht auf die starke Kälte, in glänzender Uniform ohne Mantel am Eingang.
Unaufhörlich kamen noch mehr Wagen vorgefahren, und blumengeschmückte Damen, die Schleppen mit der Hand tragend,
und Herren, die Uniformmützen oder die schwarzen Hüte abnehmend, traten in die Kirche ein. In der Kirche waren
bereits beide Kronleuchter und sämtliche Kerzen vor den Heiligenbildern angezündet. Die goldenen Heiligenscheine
auf dem roten Untergrunde des Ikonostas, das Silber der Kronleuchter und Armleuchter und die Fliesen des Fußbodens
und die Teppiche und die Kirchenfahnen auf den Chorestraden und die Altarstufen und die alten, schwarz gewordenen
Bücher und die Leibröcke und die Chorhemden – alles war von Licht übergossen. Auf der rechten Seite der Kirche, in
dem bunten Gewühl von Fräcken und weißen Halsbinden, von Uniformen und samtenen und seidenen Damenkleidern, Haaren,
Blumen, entblößten Schultern und Armen und hoch hinaufreichenden Handschuhen, wurden mit gedämpfter Stimme lebhafte
Gespräche geführt, die in der hohen Kuppel einen seltsamen Widerhall erweckten. Jedesmal, wenn der kreischende Ton
der sich öffnenden Kirchtür sich vernehmen ließ, verstummte das Gespräch in dem dichten Schwarm, und alle schauten
sich um in der Erwartung, das eintretende Brautpaar zu erblicken. Aber die Tür hatte sich schon mehr als zehnmal
geöffnet, und jedesmal war es entweder ein verspäteter Gast, Herr oder Dame, gewesen, der sich dann auf der rechten
Seite zu der Gruppe der Eingeladenen gesellte, oder eine Zuschauerin, die den Polizeioffizier zu täuschen oder auch
zu erweichen gewußt hatte und sich nun dem links stehenden Haufen der fremden Teilnehmer anschloß. Die
Hochzeitsgesellschaft sowohl wie die Fremden hatten bereits alle Stufen der Erwartung durchgemacht.
Anfänglich hatte man gemeint, der Bräutigam und die Braut müßten ja jeden Augenblick kommen, und hatte dieser
Verspätung weiter keine Bedeutung beigemessen. Darauf hatte man angefangen, immer häufiger nach der Tür hinzusehen
und darüber zu reden, ob auch nicht etwas vorgefallen sei. Dann aber wurde diese Verspätung allmählich peinlich,
und die Verwandten und Gäste suchten sich den Anschein zu geben, als dächten sie gar nicht an den Bräutigam und
seien ganz mit ihren Gesprächen beschäftigt.
Der Protodiakon, wie um daran zu erinnern, daß seine Zeit kostbar sei, hustete ungeduldig, so daß
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