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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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einen Korb geben und überhaupt Ljewins Ankunft die
    dem Abschluß schon so nahe Angelegenheit verwirren oder verzögern könnte.
    »Ist er schon vor längerer Zeit angekommen?« fragte die Fürstin mit Bezug auf Ljewin, als sie nach Hause
    zurückfuhren.
    »Heute, maman.«
    »Ich möchte dir nur das eine sagen ...«, begann die Fürstin, und an ihrem ernsten, eine lebhafte Erregung
    bekundenden Gesichte erriet Kitty, wovon die Rede sein sollte.
    »Mama«, sagte sie, indem sie sich schnell zu ihr hinwandte und blutrot wurde, »bitte, bitte, sprechen Sie nicht
    von dieser Sache! Ich weiß alles, alles weiß ich!«
    Sie wünschte dasselbe, was die Mutter wünschte; aber die Gründe, die die Mutter zu diesem Wunsche veranlaßten,
    versetzten sie in Entrüstung.
    »Ich wollte nur sagen, nachdem du dem einen Hoffnung gemacht hast ...«
    »Mama, liebste Mama, ich bitte Sie inständig, sprechen Sie nicht davon! Es ist so schrecklich, davon zu
    sprechen.«
    »Nun, nun, dann will ich es lassen«, erwiderte die Mutter, als sie Tränen in Kittys Augen sah. »Nur eines, mein
    Herzchen: du hast mir versprochen, keine Geheimnisse vor mir zu haben. Wirst du deinem Versprechen treu
    bleiben?«
    »Niemals werde ich Ihnen etwas verheimlichen, Mama, nichts, nichts!« antwortete Kitty errötend und blickte der
    Mutter gerade in die Augen. »Aber ich habe Ihnen jetzt nichts mitzuteilen ... Ich ... ich ... beim besten Willen
    weiß ich nicht, was ich Ihnen sagen könnte, und wie ... ich weiß nicht ...«
    ›Nein, mit diesen Augen kann sie keine Unwahrheit sagen‹, dachte die Mutter und lächelte über die Aufregung und
    das Glück ihres Kindes. Sie lächelte darüber, wie großartig und bedeutungsvoll der armen Kleinen das erschien, was
    jetzt in ihrem Herzen vorging.

13
    Kitty machte in der Zeit nach dem Mittagessen bis zum Abend ähnliche Empfindungen durch wie ein Jüngling vor
    einer Schlacht. Ihr Herz pochte stark, und sie konnte mit ihren Gedanken bei keinem Gegenstande verweilen.
    Sie fühlte, daß der heutige Abend, an dem die beiden jungen Männer, die sich um ihre Gunst bemühten, zum ersten
    Male miteinander zusammentreffen sollten, ihr die Entscheidung ihres Schicksals bringen mußte. Und unaufhörlich
    stellte sie sich die beiden Nebenbuhler vor, bald einen jeden einzeln für sich, bald beide zusammen. Wenn sie an
    die Vergangenheit dachte, so verweilte sie mit Vergnügen und Rührung bei der Erinnerung an ihre Beziehungen zu
    Ljewin. Die Kindheitserinnerungen und die Erinnerungen an Ljewins Freundschaft mit ihrem verstorbenen Bruder
    verliehen ihrem Verhältnis zu ihm einen besonderen poetischen Reiz. Seine Liebe zu ihr, von der sie fest überzeugt
    war, schmeichelte ihr und bereitete ihr Freude. So konnte sie bei der Erinnerung an Ljewin leichten, freudigen
    Herzens sein. Dagegen mischte sich in die Erinnerung an Wronski immer eine Art von unbehaglichem Gefühl, obgleich
    er ein außerordentlich weltgewandtes, durchaus ruhiges Wesen hatte; als ob irgend etwas Unwahres nicht sowohl in
    ihm – denn er war überaus schlicht und herzlich – wie vielmehr in ihr selbst wäre, während sie sich Ljewin
    gegenüber völlig klar und unbefangen fühlte. Dafür aber trat ihr, sobald sie an die Zukunft an Wronskis Seite
    dachte, ein Bild voll Glanz und Glück vor Augen; an Ljewins Seite erschien ihr die Zukunft wie von einem
    Nebelschleier verhüllt.
    Als sie sich in das obere Stockwerk begeben hatte, um sich umzukleiden, und dort in den Spiegel blickte,
    bemerkte sie mit Freude, daß sie einen ihrer guten Tage hatte und sich im Vollbesitz aller ihrer Kräfte befand, –
    und das war ja auch so nötig für alles, was ihr bevorstand. Sie fühlte sich imstande, die äußere Ruhe zu bewahren
    und sich mit freier Anmut zu bewegen.
    Als sie um halb acht Uhr in den Salon trat, meldete der Diener: »Konstantin Dmitrijewitsch Ljewin.« Die Fürstin
    befand sich noch in ihrem Zimmer, auch der Fürst war noch nicht im Salon. ›Also jetzt kommt es!‹ dachte Kitty, und
    alles Blut strömte ihr zum Herzen. Sie erschrak über ihre Blässe, als sie in den Spiegel blickte.
    Jetzt war sie sich ganz klar darüber, daß er nur deshalb so früh gekommen war, um sie allein zu treffen und ihr
    einen Antrag zu machen. Und jetzt zum ersten Male erschien ihr die ganze Sache auch von einer ganz anderen, neuen
    Seite. Erst jetzt begriff sie, daß die Frage nicht sie allein anginge – wen sie liebe und mit wem sie glücklich
    werden solle –, sondern daß

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