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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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Ljewin ihr unsympathisch sei und daß sie ihn in seinem ganzen Wesen nicht verstehe. Als nun
    Ljewin urplötzlich abreiste, freute sich die Fürstin darüber geradezu und sagte triumphierend zu ihrem Manne:
    »Siehst du wohl, ich hatte recht!« Und als darauf Wronski erschien, war sie noch viel mehr erfreut, da sie sich
    immer mehr in ihrer Meinung bestärkt sah, daß Kitty nicht etwa nur eine gute, sondern eine glänzende Partie machen
    müsse.
    Nach der Anschauung der Mutter waren Wronski und Ljewin gar nicht miteinander zu vergleichen. Der Mutter
    mißfielen an Ljewin sowohl seine seltsamen, schroffen Urteile auf vielen Gebieten wie auch sein unbeholfenes Wesen
    im gesellschaftlichen Verkehr, das nach ihrer Annahme auf Stolz beruhte; dann sein nach ihren Begriffen
    ungebildetes Leben auf dem Lande, wo er nur mit dem Vieh und den Bauern zu tun habe; ihr starkes Mißfallen erregte
    es auch, daß er, der doch in ihre Tochter verliebt war, anderthalb Monate lang bei ihnen im Hause verkehrte und
    dabei anscheinend irgend etwas abwartete und Beobachtungen anstellte, als ob er fürchte, der Familie durch einen
    Heiratsantrag eine gar zu große Ehre anzutun, und endlich, daß er kein Verständnis dafür hatte, daß er die Pflicht
    habe, sich zu erklären, wenn er so auffällig in einem Hause verkehrte, wo ein heiratsfähiges junges Mädchen war.
    Und dann war er auf einmal abgereist, ohne sich erklärt zu haben. ›Es ist nur recht gut, daß er so wenig
    Einnehmendes hat, daß Kitty sich nicht hat in ihn verlieben können‹, dachte die Mutter.
    Wronski hingegen entsprach durchaus allen Anforderungen der Mutter. Er war sehr reich, klug, angesehen, auf
    bestem Wege zu einer glänzenden militärisch-höfischen Laufbahn und eine bezaubernde Persönlichkeit. Etwas Besseres
    zu wünschen, war einfach unmöglich.
    Wronski machte auf den Bällen Kitty offenkundig den Hof, tanzte viel mit ihr und verkehrte im Hause; somit war
    an der Ernsthaftigkeit seiner Absichten nicht zu zweifeln. Aber trotzdem befand sich die Mutter diesen ganzen
    Winter über in arger Unruhe und Aufregung.
    Bei der eigenen Verheiratung der Fürstin vor dreißig und etlichen Jahren hatte eine Tante das Amt der
    Vermittlerin übernommen. Der Freier, über den man schon vorher alles Erforderliche in Erfahrung gebracht hatte,
    erschien im Hause, nahm das junge Mädchen in Augenschein, um das er sich bewerben wollte, und wurde seinerseits
    prüfend betrachtet; die vermittelnde Tante erhielt von einer jeden Partei Mitteilung über den empfangenen Eindruck
    und gab diese Mitteilung an die andere Partei weiter; der Eindruck war auf beiden Seiten gut; darauf wurde an einem
    festgesetzten Tage den Eltern der erwartete Antrag gemacht und von ihnen angenommen. Alles war sehr glatt und
    einfach vonstatten gegangen. Wenigstens schien es jetzt der Fürstin so. Aber bei ihren eigenen Töchtern mußte sie
    die Erfahrung machen, wie schwer und knifflig die anscheinend so einfache Aufgabe, die Töchter zu verheiraten, in
    Wirklichkeit sei. Schon bei der Verheiratung der beiden älteren Töchter, Darja und Natalja, wieviel Angst hatte sie
    dabei ausgestanden, wieviel sorgenvolle Gedanken in ihrem Kopfe umhergewälzt, wieviel Geld darangewendet, wieviel
    Meinungsverschiedenheiten mit ihrem Manne durchgekämpft! Und jetzt, da die Jüngste in die Gesellschaft eintrat,
    wiederholten sich dieselben Befürchtungen, dieselben Zweifel, und die Streitigkeiten mit ihrem Manne gestalteten
    sich noch erheblich schärfer als die wegen der älteren Töchter. Der alte Fürst war, wie alle Väter, besonders
    peinlich in der Sorge für den reinen, ehrenhaften Ruf seiner Töchter; er war auf die Töchter in unvernünftiger
    Weise eifersüchtig, namentlich auf Kitty, die sein Liebling war, und machte der Fürstin alle Augenblicke
    unangenehme Szenen, weil sie die Tochter ins Gerede bringe. Die Fürstin war das schon gewohnt geworden, als es sich
    noch um die ersten Töchter gehandelt hatte; aber jetzt fühlte sie, daß zu der Peinlichkeit, wie sie der Fürst an
    den Tag legte, mehr Grund vorhanden sei. Sie sah, daß sich in der letzten Zeit gar manches in den Gebräuchen der
    Gesellschaft geändert hatte und die Pflichten einer Mutter noch schwerer geworden waren. Sie sah, daß Kittys
    Altersgenossinnen allerlei Vereine bildeten, allerlei Vorlesungen besuchten, mit Männern in freierer Form umgingen,
    ohne Begleitung durch die Stadt fuhren, großenteils den Knicks abgeschafft hatten und, was die

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