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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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den Grafen Wronski zum Manne bekäme.
    Ljewin, den sie zu Anfang des Winters häufig bei Schtscherbazkis getroffen hatte, war ihr immer unsympathisch
    gewesen. Eine stete Lieblingsbeschäftigung von ihr beim Zusammentreffen mit ihm war es, sich über ihn lustig zu
    machen.
    ›Ich habe es gern, wenn er von seinem erhabenen Gipfel auf mich herabblickt und entweder im Gespräch mit mir
    seine klugen Auseinandersetzungen abbricht, weil ich ihm doch zu dumm dafür bin, oder auch zu mir herabsteigt. Das
    habe ich ganz besonders gern, dieses Herabsteigen! Ich freue mich sehr darüber, daß er mich nicht leiden kann‹, so
    pflegte sie sich über ihn zu äußern.
    Sie hatte recht, da Ljewin sie in der Tat nicht leiden konnte und sie gerade wegen derjenigen Eigenschaften
    geringschätzte, auf die sie stolz war und die sie sich als Vorzug anrechnete, nämlich wegen ihrer Nervosität und
    wegen ihrer blasierten Gleichgültigkeit und Verachtung gegenüber allem Unverfeinerten und
    Schlicht-Realistischen.
    Zwischen der Gräfin Northstone und Ljewin hatte sich ein in den Kreisen der höheren Gesellschaft nicht selten zu
    findendes Verhältnis herausgebildet, daß nämlich zwei Menschen zwar äußerlich in freundlicher Form miteinander
    verkehren, dabei aber sich gegenseitig in dem Maße geringschätzen, daß sie einan der nicht einmal ernst nehmen
    können und sogar einer sich vom anderen nicht beleidigt fühlen kann.
    Die Gräfin Northstone fiel sogleich über Ljewin her.
    »Ah, Konstantin Dmitrijewitsch! Sind wir wieder einmal nach unserem sittenlosen Babel gekommen?« sagte sie und
    reichte ihm ihre winzig kleine, gelbe Hand; sie zitierte damit einen Ausdruck, den er zu Anfang des Winters einmal
    gebraucht hatte, daß Moskau ein Babel sei. »Nun, hat sich das Babel gebessert, oder haben Sie sich verschlechtert?«
    fügte sie hinzu und sah mit spöttischem Lächeln zur Seite nach Kitty hin.
    »Es ist mir sehr schmeichelhaft, Gräfin, daß Sie meine Worte so gut im Gedächtnis haben«, entgegnete Ljewin, dem
    es nun schon einigermaßen gelungen war, seine Fassung wiederzugewinnen, und der nun sofort seine herkömmlichen
    scherzhaft-feindlichen Beziehungen zu der Gräfin Northstone wieder aufnahm. »Offenbar haben sie Ihnen einen starken
    Eindruck gemacht.«
    »Das versteht sich! Ich schreibe mir alles auf. Nun, Kitty, bist du wieder Schlittschuh gelaufen?«
    Sie begann eine Unterhaltung mit Kitty. So wenig es sich auch für Ljewin schicken mochte, jetzt wegzugehen, so
    fand er es doch leichter, diese Ungeschicklichkeit zu begehen, als den ganzen Abend dazubleiben und Kitty zu sehen,
    die bisweilen nach ihm hinschaute, aber seinem Blick auswich. Er wollte gerade aufstehen, da wandte die Fürstin,
    die bemerkt hatte, daß er schwieg, sich ihm zu.
    »Sind Sie auf längere Zeit nach Moskau gekommen? Sie sind ja wohl bei der Kreisverwaltung tätig und können darum
    nicht lange fort?«
    »Nein, Fürstin, bei der Kreisverwaltung bin ich nicht mehr tätig«, antwortete er. »Ich bin auf ein paar Tage
    hergekommen.«
    ›Es muß etwas Besonderes mit ihm los sein‹, dachte die Gräfin Northstone, der sein ernster, strenger
    Gesichtsausdruck auffiel. ›Er läßt sich heute gar nicht zu einer seiner gewohnten Auseinandersetzungen verleiten.
    Aber ich werde ihn schon herauslocken. Es macht mir das größte Vergnügen, ihn in Kittys Gegenwart zum Narren zu
    halten. Das will ich auch heute tun.‹
    »Konstantin Dmitrijewitsch«, redete sie ihn wieder an, »bitte, erklären Sie mir doch einen wunderlichen Fall,
    der uns vorgekommen ist; Sie verstehen sich ja auf all diese Dinge: Auf unserem Gute im Gouvernement Kaluga haben
    die sämtlichen Bauern mit ihren Weibern alles, was sie besaßen, vertrunken und bezahlen uns jetzt nichts. Wie soll
    man das auffassen? Sie loben ja die Bauern immer so sehr.«
    In diesem Augenblick trat noch eine Dame ins Zimmer, und Ljewin stand auf.
    »Entschuldigen Sie mich, Gräfin, aber ich verstehe wirklich nichts davon und kann Ihnen nichts darüber sagen«,
    entgegnete er und blickte zu einem Offizier hin, der hinter der Dame eintrat.
    ›Das muß Wronski sein‹, dachte Ljewin und schaute, um Gewißheit zu haben, zu Kitty hin. Diese hatte den
    Eintretenden bereits erblickt und sah sich jetzt nach Ljewin um. Und aus diesem einen Blicke ihrer unwillkürlich
    aufleuchtenden Augen erkannte Ljewin, daß sie diesen Mann liebte, und erkannte es mit solcher Sicherheit, wie wenn
    sie es ihm mit Worten mitgeteilt

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