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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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erwidern; aber er errötete und schwieg.
    »Wollen wir es gleich einmal mit dem Tischrücken versuchen, Prinzessin?« sagte Wronski. »Sie erlauben es doch,
    Fürstin?«
    Er stand auf und suchte mit den Augen nach einem Tischchen.
    Kitty erhob sich, um ein Tischchen zu beschaffen, und als sie bei Ljewin vorbeiging, begegneten sich ihre
    Blicke. Er tat ihr in tiefster Seele leid, um so mehr, als sie selbst die Ursache des Unglücks war, um
    dessentwillen sie ihn bemitleidete. ›Wenn für mich Verzeihung möglich ist, so verzeihen Sie mir!‹ sagte ihr Blick.
    ›Ich bin so glücklich.‹
    ›Ich hasse alle Menschen, auch Sie und mich selbst‹, antwortete sein Blick, und er griff nach sei nem Hute. Es
    war ihm aber nicht beschieden, davonzukommen. Gerade als die anderen sich um ein Tischchen gruppierten und Ljewin
    fortgehen wollte, trat der alte Fürst ein und wandte sich, nachdem er die Damen begrüßt hatte, Ljewin zu.
    »Ah!« rief er erfreut. »Sind Sie schon lange hier in Moskau? Ich wußte gar nicht, daß du hier bist. Sehr
    erfreut, Sie wiederzusehen!«
    Der alte Fürst nannte Ljewin manchmal du, manchmal Sie. Er umarmte ihn und beachtete, während er mit ihm sprach,
    Wronski nicht, der aufgestanden war und ruhig wartete, bis sich der Fürst ihm zuwenden würde.
    Kitty fühlte, wie drückend nach dem, was vorgefallen war, für Ljewin die Liebenswürdigkeit ihres Vaters sein
    müsse. Sie bemerkte auch, wie kühl ihr Vater endlich Wronskis Verbeugung erwiderte und wie Wronski mit freundlicher
    Verwunderung ihren Vater anblickte und sich vergebens bemühte, zu begreifen, was wohl der Grund einer
    unfreundlichen Stimmung gegen ihn sein könne, und sie errötete.
    »Überlassen Sie uns Konstantin Dmitrijewitsch, Fürst!« sagte die Gräfin Northstone. »Wir möchten gern ein
    Experiment vornehmen.«
    »Was für ein Experiment? Wohl Tischrücken? Na, nehmen Sie es mir nicht übel, meine Damen und Herren, aber meiner
    Ansicht nach ist das Ringspiel weit vergnüglicher«, sagte der alte Fürst und blickte dabei Wronski an, in dem er
    den Anstifter erriet. »Im Ringspiel liegt doch noch ein Sinn.«
    Wronski sah mit einem festen Blick den Fürsten erstaunt an und begann dann sofort mit einem kaum merklichen
    Lächeln sich mit der Gräfin Northstone von dem großen Balle zu unterhalten, der in der nächsten Woche
    bevorstand.
    »Ich hoffe, daß auch Sie dort sein werden«, wandte er sich an Kitty.
    Sobald sich der Fürst von ihm weggewandt hatte, ging Ljewin unbemerkt hinaus, und der letzte Eindruck, den er
    von dieser Abendgesellschaft mit sich nahm, war Kittys lächelndes, glückliches Gesicht, mit dem sie Wronskis Frage
    nach dem Balle beantwortete.

15
    Nachdem die Abendgesellschaft ihr Ende gefunden hatte, erzählte Kitty ihrer Mutter ihr Gespräch mit Ljewin, und
    trotz allem Mitleid, das sie für ihn empfand, machte ihr doch der Gedanke Freude, daß sie ›einen Antrag gehabt
    habe‹. Sie war nicht im geringsten im Zweifel, daß sie gehandelt habe, wie sie eben habe handeln müssen. Aber im
    Bett konnte sie lange Zeit nicht einschlafen. Ein bestimmter Eindruck wollte gar nicht aus ihrer Erinnerung
    weichen. Es war Ljewins Gesicht mit den zusammengezogenen Brauen und den finster und traurig darunter
    hervorblickenden guten Augen, wie er dastand und ihrem Vater zuhörte und nach ihr und Wronski hinblickte. Und er
    tat ihr so leid, daß ihr die Tränen in die Augen traten. Aber im nächsten Augenblick erinnerte sie sich an den, für
    den sie ihn hingegeben hatte. Lebhaft stellte sie sich dieses männliche, feste Gesicht vor, diese vornehme Ruhe,
    und die Herzensgüte, die aus seinem ganzen Benehmen gegen alle und jedermann hervorleuchtete; sie dachte daran, wie
    der, den sie liebte, sie wieder liebte, und es wurde ihr wieder froh ums Herz, und mit glückseligem Lächeln drückte
    sie den Kopf in das Kissen. ›Er tut mir leid, er tut mir leid; aber was sollte ich tun? Ich habe keine Schuld‹,
    sagte sie zu sich selbst; aber eine innere Stimme sprach anders zu ihr. Ob sie bereute, Ljewin an sich gezogen oder
    ihn zurückgewiesen zu haben, das wußte sie selbst nicht. Aber ihr Glück war durch Zweifel getrübt. »Herr, erbarme
    dich; Herr, erbarme dich; Herr, erbarme dich!« sprach sie im Einschlafen vor sich hin.
    Zu derselben Zeit spielte sich unten in dem kleinen Arbeitszimmer des Fürsten eine jener Szenen ab, wie sie sich
    häufig wegen der Lieblingstochter zwischen den Eltern wiederholten.
    »Was ich damit

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