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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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will, sie ist zu
    dumm, zu dumm! ... Und warum bringt sie mich in diese Lage?‹ dachte er und schwenkte dabei ärgerlich mit dem
    Arm.
    Bei dieser Bewegung stieß er an das Tischchen, auf dem das Selterswasser und die Kognakflasche standen, diese
    drohte herunterzufallen.
    Er wollte sie noch greifen, aber sie fiel doch, und ärgerlich stieß er mit dem Fuß den Tisch um und
    klingelte.
    »Wenn du bei mir im Dienst bleiben willst«, sagte er zu dem eintretenden Kammerdiener, »so denke besser an deine
    Obliegenheiten. Das brauchte hier nicht mehr herumzustehen. Du hättest es abräumen müssen.«
    Im Gefühl seiner Schuldlosigkeit wollte sich der Kammerdiener rechtfertigen; aber als er seinen Herrn anblickte,
    merkte er an dessen Gesicht, daß es ratsam sei zu schweigen. Er kniete auf den Teppich nieder und begann, eilig
    herumkriechend, die heilen und zerschlagenen Gläser und Flaschen aufzulesen.
    »Das ist nicht deine Sache. Schicke den Kellner her, dies wegzubringen, und lege mir meinen Frack zurecht!«
    Als Wronski das Theater betrat, war es halb neun Uhr. Die Aufführung war in vollem Gange. Ein alter Türschließer
    nahm ihm den Pelz ab, betitelte ihn, als er ihn erkannt hatte, »Euer Erlaucht« und bemerkte dienstfertig, er
    brauche keine Garderobennummer zu nehmen, sondern solle nachher nur einfach »Fjodor!« rufen. In dem hell
    erleuchteten Gang befand sich niemand außer dem Türschließer und zwei Lakaien mit Pelzen über den Armen, die an der
    Tür horchten. Durch die nur angelehnte Tür vernahm man die zurückhaltende Stakkato-Begleitung des Orchesters und
    eine weibliche Stimme, die mit großer Genauigkeit ein Gesangstück vortrug. Die Tür öffnete sich, um einen
    hindurchschlüpfenden Türschließer herauszulassen, und das Gesangstück, das sich seinem Ende näherte, drang auf
    einmal laut und deutlich an Wronskis Ohr. Aber die Tür schloß sich sofort wieder, und Wronski konnte den Schlußsatz
    nicht hören, erkannte aber durch die Tür hindurch an dem donnernden Händeklatschen, daß der Gesang zu Ende war. Als
    er in den von Kronleuchtern und bronzenen Gasarmen hell erleuchteten Saal trat, dauerte der Lärm noch an. Auf der
    Bühne stand die Sängerin, mit schimmernden nackten Schultern und blitzenden Brillanten, verbeugte sich lächelnd,
    sammelte mit Hilfe des Tenors, der sie an der Hand gefaßt hatte, die ungeschickt über die Rampe geworfenen Blumen
    und trat zu einem Herrn mit wundervollem Mittelscheitel in den pomadeglänzenden Haaren, der sich mit seinen langen
    Armen über die Rampe herüberreckte und ihr irgendeinen Gegenstand hinhielt; und das gesamte Publikum im Parkett und
    in den Logen war in Aufregung, beugte sich vor, schrie und klatschte. Der Kapellmeister auf seinem erhöhten Platze
    war bei der Überreichung des Geschenkes behilflich und rückte dann seine weiße Binde wieder zurecht. Wronski ging
    bis mitten ins Parkett hinein, blieb dann stehen und blickte um sich. Heute achtete er noch weniger als sonst auf
    das ihm bekannte, gewohnte Bild, auf die Bühne, auf diesen Lärm, auf dieses ganze bekannte, ihm gleichgültige bunte
    Gewimmel von Zuschauern in dem gedrängt vollen Theater.
    In den Logen befanden sich Damen von der gleichen Art wie immer und im Hintergrunde der Logen irgendwelche
    Offiziere; überall dieselben buntgeputzten Damen wie sonst, Gott weiß welchen Standes, dieselben Uniformen und
    Zivilanzüge; derselbe unsaubere Pöbel auf der Galerie; und unter diesem ganzen Schwarm waren in den Logen und in
    den vordersten Reihen des Parketts etwa vierzig wirkliche Herren und Damen. Auf diese Oasen richtete Wronski
    sofort seine Aufmerksamkeit und trat mit ihnen unverzüglich in Beziehung.
    Als er eintrat, war gerade ein Akt zu Ende; daher ging er, ohne in der Loge seines Bruders vorgesprochen zu
    haben, nach vorn bis zur ersten Reihe des Parketts und blieb an der Rampe bei Serpuchowskoi stehen, der, das eine
    Knie krümmend, mit dem Absatz gegen die Rampe klopfte und, sowie er Wronski von weitem gewahr geworden war, ihn
    durch ein Lächeln zu sich herangerufen hatte.
    Wronski hatte Anna noch nicht gesehen; er blickte absichtlich nicht nach ihrer Seite. Aber er merkte an der
    Richtung der Blicke anderer, wo sie saß. Er sah sich unauffällig um, ohne nach ihr zu suchen; das Schlimmste
    erwartend, suchte er mit den Augen Alexei Alexandrowitsch. Aber zu Wronskis Glück war er heute nicht im
    Theater.
    »Wie wenig Militärisches du dir doch in deiner Erscheinung bewahrt

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