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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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genauer, was, war in peinlicher Unruhe; in der
    Hoffnung, etwas Näheres zu erfahren, ging er nach der Loge seines Bruders. Absichtlich wählte er einen Ausgang aus
    dem Parkett, der auf der entgegengesetzten Seite von Annas Loge lag; aber beim Hinausgehen stieß er auf seinen
    ehemaligen Regimentskommandeur, der mit zwei Bekannten sprach. Wronski hörte, wie der Name Karenin im Gespräch
    vorkam, und bemerkte, wie der Regimentskommandeur sich beeilte, ihn selbst laut mit seinem Namen anzurufen, und
    dabei den beiden anderen Herren einen bedeutsamen Blick zuwarf.
    »Ah, Wronski! Wann wirst du denn einmal zu uns ins Regimentskasino kommen? Ohne ein Festessen können wir dich
    nicht abreisen lassen. Du bist ja doch auf das allerengste mit dem Regiment verwachsen«, sagte der Kommandeur.
    »Ich bin sehr eilig. Bedaure außerordentlich. Auf ein andermal!« erwiderte Wronski und eilte die Treppe
    hinauf.
    Die alte Gräfin, Wronskis Mutter, mit ihren stahlgrauen Löckchen, war in der Loge des Bruders. Warja und die
    Prinzessin Sorokina traf er im Vorraum des ersten Ranges.
    Nachdem Warja die Prinzessin Sorokina zu der alten Gräfin Wronskaja geleitet hatte, trat sie wieder in den
    Vorraum hinaus, gab ihrem Schwager die Hand und begann sofort mit ihm von dem zu sprechen, was ihn beschäftigte.
    Sie war so aufgeregt, wie er sie selten gesehen hatte.
    »Ich finde das niedrig und abscheulich, und Madame Kartasowa hatte in keiner Weise ein Recht dazu. Madame
    Karenina ...«, begann sie.
    »Aber was ist denn geschehen? Ich weiß von nichts.«
    »Wie? Du hast es noch nicht gehört?«
    »Du kannst dir leicht denken, daß ich der letzte bin, der etwas davon zu hören bekommt.«
    »Gibt es wohl ein boshafteres Geschöpf als diese Kartasowa?«
    »Was hat sie denn also getan?«
    »Mein Mann hat es mir erzählt. Sie hat Frau Karenina beleidigt. Ihr Mann knüpfte nach der andern Loge hinüber
    ein Gespräch mit Frau Karenina an, und da hat seine Frau ihm eine Szene gemacht. Es heißt, sie hat laut einen
    beleidigenden Ausdruck gebraucht und ist hinausgegangen.«
    »Graf, Ihre maman läßt Sie rufen«, sagte die Prinzessin Sorokina, indem sie aus der Logentür herausblickte.
    »Ich warte schon lange auf dich«, redete ihn seine Mutter mit spöttischem Lächeln an. »Du läßt dich ja gar nicht
    blicken.«
    Der Sohn sah, daß sie nicht imstande war, ein Lächeln der Schadenfreude zu unterdrücken.
    »Guten Abend, maman. Ich war auf dem Wege zu Ihnen«, erwiderte er kühl.
    »Warum gehst du denn nicht faire la cour à Madame Karénine 1 ?« fügte sie hinzu, als die Prinzessin Sorokina zur Seite getreten war. »Elle fait
    sensation. On oublie la Patti pour elle.« 2
    »Maman, ich habe Sie schon früher gebeten, mit mir davon nicht zu sprechen«, antwortete er mit finsterer
    Miene.
    »Ich sage nur, was alle Leute sagen.«
    Wronski erwiderte nichts und ging, nachdem er noch ein paar Worte zur Prinzessin Sorokina gesagt hatte, hinaus.
    In der Tür stieß er auf seinen Bruder.
    »Ah, Alexei!« sagte der Bruder. »Welch eine Gemeinheit! Ein dummes Frauenzimmer, weiter nichts ... Ich wollte
    gerade zu ihr gehen. Gehen wir beide zu sammen!«
    Wronski hörte gar nicht, was sein Bruder sagte. Schnellen Schrittes ging er die Treppe hinunter; er fühlte, daß
    er etwas tun müsse, wußte aber nicht, was. Der Ärger über sie, daß sie sich und ihn in eine so peinliche Lage
    gebracht hatte, und zugleich das Mitleid mit ihr wegen der Leiden, die sie ausstand, versetzten ihn in die größte
    Erregung. Er ging ins Parkett hinunter und begab sich geradeswegs nach Annas Loge. Hier stand Stremow und führte
    mit Anna ein Gespräch.
    »Es gibt keine Tenore mehr. Le moule en est brisé. 3 «
    Wronski verbeugte sich vor ihr, blieb stehen und begrüßte dann Stremow.
    »Sie sind wohl zu spät gekommen und haben die schöne Arie nicht gehört«, sagte Anna zu Wronski und blickte ihn,
    wie es ihm vorkam, dabei spöttisch an.
    »Ich besitze nur ein geringes Verständnis dafür«, antwortete er, indem er einen ernsten Blick auf sie
    richtete.
    »Ganz wie Fürst Jaschwin«, bemerkte sie lächelnd. »Der findet, daß die Patti zu laut singt. – Danke«, sagte sie
    und nahm mit ihrer kleinen Hand in dem langen Handschuh den Theaterzettel, den Wronski ihr aufgehoben hatte. In
    diesem Augenblick ging ein plötzliches Zucken durch ihr Gesicht; sie stand auf und trat in den Hintergrund der Loge
    zurück.
    Als Wronski bemerkte, daß im nächsten Akt ihre Loge leer blieb,

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