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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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hast!« sagte Serpuchowskoi zu ihm. »Du siehst
    aus wie ein Diplomat, ein Künstler oder so etwas.«
    »Ja, sowie ich wieder nach Rußland zurückgekehrt bin, habe ich den Frack angezogen«, antwortete Wronski lächelnd
    und nahm langsam das Opernglas aus dem Behälter.
    »Offengestanden, in dieser Hinsicht beneide ich dich. Ich, wenn ich aus dem Auslande zurückkomme und dies hier
    wieder anlege« (er berührte seine Achselstücke), »bedaure immer, daß es mit meiner Freiheit wieder aus ist.«
    Serpuchowskoi hatte schon längst die Hoffnung aufgegeben, daß Wronski je wieder zu seiner militärischen
    Tätigkeit zurückkehren werde; aber er hatte ihn noch ebenso gern wie früher und war jetzt besonders liebenswürdig
    zu ihm.
    »Schade, daß du den ersten Akt versäumt hast.«
    Wronski, der ihm nur mit einem Ohre zuhörte, richtete sein Opernglas auf den ersten Rang und die Parkettlogen
    und musterte die dort Sitzenden. Neben einer Dame mit einem Turban und einem kahlköpfigen alten Herrn, dessen
    ärgerlich verlegene Miene er durch sein umherwanderndes Glas wahrnahm, erblickte er auf einmal Annas stolzen,
    überraschend schönen, lächelnden Kopf in der Spitzenumrahmung. Sie befand sich in der fünften Parkettloge, etwa
    zwanzig Schritte von ihm entfernt. Sie saß vorn an der Brüstung und sagte, ein wenig zurückgewendet, etwas zu
    Jaschwin. Die Haltung ihres Kopfes auf den schönen, breiten Schultern und das verhaltene, lebhafte Leuchten ihrer
    Augen und des ganzen Gesichtes erinnerten ihn durchaus an die Erscheinung, in der sie ihm auf dem Ball in Moskau
    entgegengetreten war. Aber jetzt war seine Empfindung dieser Schönheit gegenüber ganz anders. In seinem Gefühl für
    sie lag jetzt nichts Geheimnisvolles mehr, und daher hatte ihre Schönheit, wiewohl sie ihn noch stärker als früher
    anzog, jetzt zugleich für ihn etwas Verletzendes. Sie blickte nicht nach der Richtung, wo er stand; aber Wronski
    fühlte, daß sie ihn schon gesehen hatte.
    Als er kurze Zeit darauf sein Glas wieder nach jener Seite wandte, bemerkte er, daß die Prinzessin Warwara
    auffällig rot aussah, in gezwungener Weise lachte und sich fortwährend nach der Nachbarloge umsah, Anna aber, mit
    dem zusammengeklappten Fächer auf den roten Samt der Brüstung klopfend, starr irgendwohin blickte und nicht sah,
    und auch augenscheinlich nicht sehen wollte, was in der Nachbarloge vorging. Jaschwins Gesicht zeigte den Ausdruck,
    den es zu tragen pflegte, wenn er im Spiel verlor. Die Augenbrauen zusammenziehend, steckte er die linke
    Schnurrbartspitze immer tiefer in den Mund hinein und schielte nach eben jener Nachbarloge hin.
    In dieser links gelegenen Loge waren Herr und Frau Kartasow. Wronski kannte sie und wußte, daß Anna mit ihnen
    bekannt war. Frau Kartasow, eine magere, kleine Dame, stand in ihrer Loge und legte, Anna den Rücken zuwendend, den
    Umhang um, den ihr Gatte ihr hinhielt. Ihr Gesicht sah blaß und zornig aus, und sie sagte etwas mit allen Zeichen
    der Erregung. Kartasow, ein dicker, kahlköpfiger Herr, blickte beständig nach Anna und versuchte, seine Frau zu
    beruhigen. Als seine Frau hinausging, zögerte er noch längere Zeit und suchte mit den Augen einen Blick Annas
    aufzufangen, offenbar mit dem Wunsche, ihr eine Verbeugung zu machen. Aber Anna beachtete ihn, augenscheinlich mit
    Absicht, gar nicht und sprach, zurückgewendet, zu Jaschwin, der sich mit seinem kurz geschorenen Kopfe zu ihr
    herunterbeugte. Kartasow ging, ohne seine Verbeugung angebracht zu haben, hinaus, und die Loge blieb leer.
    Was eigentlich zwischen Kartasows und Anna vorgefallen war, wußte Wronski nicht; aber so viel merkte er, daß es
    etwas für Anna Demütigendes gewesen sein mußte. Das schloß er aus dem, was er gesehen hatte, ganz besonders aus
    Annas Gesicht, die, das sah er, ihre letzten Kräfte zusammennahm, um die Rolle, die sie übernommen hatte,
    durchzuführen. Und diese Rolle äußerlicher Ruhe gelang ihr vollkommen. Wer sie und ihren Bekanntenkreis nicht
    kannte und all die Äußerungen des Bedauerns, der Entrüstung und Verwunderung der Damen nicht hörte, daß sie sich
    erlaubt hatte, in der Gesellschaft zu erscheinen und mit ihrem Spitzenschmuck und ihrer Schönheit Aufsehen zu
    erregen, der mußte die Ruhe und Schönheit dieser Frau bewundern und konnte nicht ahnen, daß sie die Empfindungen
    eines Menschen durchmachte, der an den Schandpfahl gebunden ist.
    Wronski, der zwar wußte, daß etwas vorgefallen sei, aber nicht

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