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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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erwiderte Ljewin. »Und du,
    wo wirst du bleiben?«
    »Auf der Terrasse.«

2
    Auf der Terrasse hatte sich die ganze weibliche Gesellschaft versammelt. Die Damen saßen überhaupt gern dort
    nach dem Mittagessen; heute aber war dort auch noch eine hauswirtschaftliche Arbeit zu verrichten. Außer dem Nähen
    von Kinderhemdchen und dem Stricken von Wickelbändern, womit alle beschäftigt waren, wurde dort heute Obst
    eingekocht, und zwar nach einer Methode, die für Agafja Michailowna etwas Neues war, nämlich ohne Zusatz von
    Wasser. Kitty hatte diese neue Methode, die in ihrem Elternhause üblich war, einführen wollen, und Agafja
    Michailowna hatte daher vor einiger Zeit Auftrag erhalten, in dieser Weise zu verfahren. Aber da sie der Ansicht
    war, das Verfahren, das von jeher im Ljewinschen Hause befolgt werde, könne unmöglich schlecht sein, so hatte sie
    doch sowohl an die Wald-wie an die Gartenerdbeeren Wasser gegossen und hartnäckig behauptet, es ginge überhaupt
    nicht anders; sie war dabei ertappt worden, und nun wurden die Himbeeren in Gegenwart aller eingekocht, und Agafja
    Michailowna sollte zu der Einsicht gebracht werden, daß das Eingemachte auch ohne Wasserzusatz gut geraten
    könne.
    Mit erhitztem Gesicht und gekränkter Miene, mit wirrem Haar, die mageren Arme bis zu den Ellbogen entblößt,
    schaukelte Agafja Michailowna mit kreisförmiger Bewegung den Kessel über der Kohlenpfanne, blickte finster auf die
    Himbeeren und wünschte von ganzem Herzen, daß sie zu steif werden und nicht ordentlich kochen möchten. Die Fürstin,
    die sich sagte, Agafja Michailownas Zorn richte sich gewiß ganz besonders gegen sie als die Hauptanstifterin bei
    dieser Himbeerkocherei, suchte den Anschein zu erwecken, als sei sie mit ganz anderen Dingen beschäftigt und denke
    gar nicht an die Himbeeren; sie sprach von anderem, schielte aber ab und zu nach der Kohlenpfanne.
    »Ich kaufe immer für die Dienstmädchen Kleider auf Ausverkäufen«, sagte die Fürstin in Fortsetzung eines
    begonnenen Gespräches. »Ob es jetzt nicht Zeit wäre, den Schaum abzunehmen, liebe Agafja?« fügte sie, zu dieser
    gewendet, hinzu. »Du brauchst das gar nicht selbst zu tun, Kitty; es ist zu heiß für dich«, fuhr sie, ihre Tochter
    zurückhaltend, fort.
    »Ich will es machen«, sagte Dolly, stand auf und begann mit einem Löffel vorsichtig durch den schäumenden
    Zuckersaft zu fahren; ab und zu klopfte sie, um das, was am Löffel haftengeblieben war, loszubekommen, mit ihm
    gegen einen Teller, der bereits von verschiedenfarbigem, gelbrosigem Schaum und blutfarbenem, sich nach unten
    ziehendem Sirup bedeckt war. ›Wie er ihnen zum Tee schmecken wird!‹ dachte sie in Gedanken an ihre Kinder und
    erinnerte sich, wie sie selbst sich als Kind darüber gewundert hatte, daß die Großen gerade das Beste, den Schaum,
    nicht äßen.
    »Stiwa meint, es sei viel zweckmäßiger, Geld zu geben«, setzte Dolly unterdessen das begonnene Gespräch über die
    beste Art, die Dienstmädchen zu beschenken, fort. »Aber ...«
    »Wie kann man nur Geld schenken!« riefen die Fürstin und Kitty wie aus einem Munde. »Das wissen die Mädchen gar
    nicht zu schätzen.«
    »Da habe ich zum Beispiel im vorigen Jahr für unsere Matrona Semjonowna einen Stoff gekauft, nicht Popeline,
    aber etwas ganz Ähnliches«, sagte die Fürstin.
    »Ich erinnere mich; sie hatte das Kleid an Ihrem Namenstage an.«
    »Es war ein allerliebstes Muster, so einfach und vornehm. Ich hätte mir am liebsten selbst ein solches Kleid
    machen lassen, wenn ich nicht schon eins gehabt hätte. Es war so in der Art wie Warjenkas Kleid. So hübsch und so
    billig.«
    »Nun, jetzt, glaub ich, ist er fertig«, sagte Dolly und ließ zur Probe den dicken Saft vom Löffel
    herunterlaufen.
    »Wenn er Kringel bildet, dann ist er gut. Lassen Sie ihn noch ein bißchen kochen, Agafja Michailowna.«
    »Nein, diese Fliegen!« schalt Agafja Michailowna ärgerlich. »Der Saft wird jetzt nicht mehr anders«, fügte sie
    hinzu.
    »Ach, wie niedlich! Jagt ihn nicht weg!« sagte auf einmal Kitty und blickte nach einem Sperling, der auf dem
    Geländer saß, das Zäpfchen von einer Himbeere hin und her drehte und daran pickte.
    »Ja, aber du solltest etwas weiter von der Kohlenpfanne weggehen«, ermahnte die Mutter.
    »A propos de Warjenka«, sagte Kitty auf französisch, wie sie denn die ganze Zeit über französisch gesprochen
    hatten, damit Agafja Michailowna sie nicht verstehen sollte. »Sie wissen, maman,

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