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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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erwiderte Kitty errötend.
    »Nein, erlaube«, fuhr die Mutter fort, »und dann hast du selbst mir nicht gestatten wollen, mit Wronski zu
    sprechen. Weißt du das wohl noch?«
    »Ach, Mama!« sagte Kitty mit einem Ausdruck seelischen Leidens.
    »Ja, die jungen Mädchen lassen sich heutzutage nicht zurückhalten ... Übrigens war es ausgeschlossen, daß deine
    Beziehungen zu ihm sich weiter entwickelt hätten, als sie durften; ich selbst würde ihn veranlaßt haben, mit der
    Sprache herauszugehen. Aber es tut dir nicht gut, liebes Kind, daß du dich aufregst. Bitte, denke daran und
    beruhige dich.«
    »Ich bin ganz ruhig, maman.«
    »Welch ein Glück war es damals für Kitty, daß Anna zu uns kam«, sagte Dolly, »und welch ein Unglück ist nachher
    für sie selbst daraus entstanden! Es ist alles gerade umgekehrt gekommen«, fügte sie, von ihrem eigenen Gedanken
    überrascht, hinzu. »Damals war Anna so glücklich, und Kitty hielt sich für unglücklich. Wie hat sich das doch ins
    Gegenteil verkehrt. Ich muß oft an sie denken!«
    »Das verdient sie auch gerade, daß du an sie denkst! So ein garstiges, abscheuliches, herzloses Frauenzimmer!«
    schalt die Mutter, die es nicht vergessen konnte, daß um ihretwillen Kitty nicht Wronski, sondern Ljewin geheiratet
    hatte.
    »Was kann das nur für einen Reiz haben, davon zu reden!« sagte Kitty ärgerlich. »Ich denke an die Geschichte
    nicht mehr und will nicht mehr daran denken ... Ich will nicht mehr daran denken ...«, sagte sie und hörte in
    diesem Augenblick die ihr wohlbekannten Schritte ihres Mannes auf der zur Terrasse heraufführenden Treppe.
    »Nun, woran willst du denn nicht denken?« fragte Ljewin, auf die Terrasse tretend.
    Aber niemand antwortete ihm, und er wiederholte seine Frage nicht.
    »Es tut mir leid, daß ich euer Frauengespräch gestört habe«, sagte er, indem er unzufrieden von einer zur andern
    blickte; er merkte, daß sie von etwas gesprochen hatten, das sie in seiner Gegenwart nicht erwähnen mochten.
    Eine Sekunde lang war es ihm, als teile er Agafja Michailownas Gefühl, nämlich die Unzufriedenheit über das
    Einkochen der Himbeeren ohne Wasser und überhaupt über den fremden Schtscherbazkischen Einfluß. Indessen lächelte
    er doch und trat zu Kitty.
    »Nun, wie geht es dir?« fragte er sie und sah sie dabei mit dem gleichen Ausdruck an, den jetzt alle im Verkehr
    mit ihr zeigten.
    »Oh, sehr gut«, versetzte Kitty lächelnd. »Und wie steht es bei dir?«
    »Auf so einen neuen Getreidewagen kann dreimal soviel aufgeladen werden wie auf einen gewöhnlichen Bauernwagen.
    Wollen wir nun hinfahren und die Kinder zurückholen? Ich habe anspannen lassen.«
    »Du willst doch nicht Kitty in dem Break fahren lassen?« fragte die Mutter vorwurfsvoll.
    »Wir fahren ja Schritt, Fürstin.«
    Ljewin nannte die Fürstin nie maman, wie es andere Schwiegersöhne tun, und das war der Fürstin unangenehm. Aber
    obwohl Ljewin die Fürstin sehr gern hatte und hochschätzte, so konnte er sie doch nicht so nennen, ohne seine
    Empfindung gegen seine verstorbene Mutter zu verletzen.
    »Fahren Sie doch mit uns, maman«, sagte Kitty.
    »Solche Unvernunft mag ich nicht mit ansehen.«
    »Nun, dann gehe ich zu Fuß. Das ist mir ja gesund.« Kitty stand auf, trat zu ihrem Manne hin und faßte ihn bei
    der Hand.
    »Gesund ist es schon; aber alles mit Maß und Vernunft«, versetzte die Fürstin.
    »Nun, wie steht's, Agafja Michailowna, ist das Eingemachte fertig?« fragte Ljewin und lächelte der Alten zu, um
    sie aufzuheitern. »Ist es auf die neue Art gut geworden?«
    »Es wird ja wohl gut sein. Nach unserer Auffassung ist es zu sehr eingekocht.«
    »Es ist sogar besser so, Agafja Michailowna. Es wird auf diese Art nicht sauer, und unser Eis ist uns doch jetzt
    schon geschmolzen, so daß wir das Eingemachte nirgends sicher aufbewahren können«, sagte Kitty, die die Absicht
    ihres Mannes sofort verstanden hatte und sich aus derselben Empfindung heraus an die alte Frau wandte. »Aber dafür
    ist auch alles, was Sie eingepökelt haben, so wunderschön, daß Mama sagt, so etwas Schönes hätte sie noch nirgends
    gegessen«, fügte sie lächelnd hinzu und brachte ihr das Halstuch in Ordnung.
    Agafja Michailowna warf der jungen Frau einen zornigen Blick zu.
    »Zu trösten brauchen Sie mich nicht, gnädige Frau. Aber wenn ich Sie und ihn ansehe, dann wird mir gleich wieder
    wohl ums Herz«, sagte sie, und dieser naturwüchsige Ausdruck »und ihn« statt »und Konstantin

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