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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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allen Gästen wegen seines Verstandes und seiner
    Gelehrsamkeit einer an Ehrfurcht grenzenden Achtung erfreute, setzte alle da durch in Erstaunen, daß er sich auch
    in das Gespräch über die Pilze mischte.
    »Nehmen Sie mich mit. Es macht mir großes Vergnügen, Pilze zu suchen«, sagte er und blickte dabei Warjenka an.
    »Ich finde, daß das eine sehr hübsche Beschäftigung ist.«
    »Schön, es wird uns sehr angenehm sein«, antwortete Warjenka errötend. Kitty warf ihrer Schwester Dolly einen
    bedeutsamen Blick zu. Das Anerbieten des gelehrten, klugen Sergei Iwanowitsch, mit Warjenka Pilze zu suchen,
    bildete für Kitty eine Bestätigung gewisser Vermutungen, die sie in der letzten Zeit stark beschäftigt hatten. Sie
    beeilte sich, etwas zu ihrer Mutter zu sagen, damit ihr Blick nicht bemerkt würde. Nach Tisch nahm Sergei
    Iwanowitsch mit seiner Tasse Kaffee im Wohnzimmer am Fenster Platz und setzte mit seinem Bruder ein angefangenes
    Gespräch fort, blickte aber dabei von Zeit zu Zeit nach der Tür, durch die die Kinder, die sich zum Pilzesuchen
    ausrüsteten, hereinkommen mußten. Ljewin hatte sich neben seinen Bruder aufs Fensterbrett gesetzt.
    Kitty stand neben ihrem Manne und wartete augenscheinlich auf das Ende des sie nicht fesselnden Gesprächs, um
    ihm etwas zu sagen.
    »Du hast dich, seit du verheiratet bist, in vieler Hinsicht verändert, und zwar zu deinem Vorteil«, sagte Sergei
    Iwanowitsch, den das begonnene Gespräch offenbar nur wenig beschäftigte, und lächelte Kitty freundlich zu. »Aber
    deiner Leidenschaft, die gegensätzlichsten Ansichten zu verteidigen, bist du treu geblieben.«
    »Katja, das Stehen ist dir nicht zuträglich«, sagte ihr Mann, rückte ihr einen Stuhl heran und warf ihr einen
    bedeutsamen Blick zu.
    »Aber jetzt habe ich allerdings keine Zeit mehr«, fügte Sergei Iwanowitsch hinzu, da er sah, daß die Kinder
    hereingelaufen kamen.
    Allen voran lief, in seitlicher Haltung galoppierend, in ihren straff anliegenden Strümpfen, ein Körbchen und
    Sergei Iwanowitschs Hut in der Hand schwenkend, Tanja gerade auf ihn zu.
    Dreist kam sie an Sergei Iwanowitsch heran, blitzte ihn mit ihren Augen an, die mit den schönen Augen ihres
    Vaters so große Ähnlichkeit hatten, hielt ihm seinen Hut hin und schien große Lust zu haben, ihn ihm selbst
    aufzusetzen, wobei aber der Eindruck ihrer Keckheit durch ein schüchternes, liebliches Lächeln gemildert wurde.
    »Warjenka wartet«, sagte sie und setzte ihm vorsichtig den Hut auf, da sie an Sergei Iwanowitschs Lächeln
    gemerkt hatte, daß sie es wagen dürfe.
    Warjenka stand in der Tür; sie trug jetzt ein gelbes Kattunkleid, um den Kopf hatte sie ein weißes Tuch
    gebunden.
    »Ich komme, ich komme, Warwara Andrejewna«, sagte Sergei Iwanowitsch, trank den Rest seines Kaffees aus und
    brachte Taschentuch und Zigarrenbehälter in seinen Taschen unter.
    »Was für ein reizendes Mädchen doch meine Warjenka ist! Nicht wahr?« sagte Kitty zu ihrem Manne, sobald Sergei
    Iwanowitsch aufgestanden war. Sie sagte das so, daß es Sergei Iwanowitsch noch hören konnte, was sie offenbar auch
    beabsichtigte. »Und wie schön ist sie! So eine vornehme Schönheit! Warjenka!« rief Kitty. »Ihr werdet wohl im
    Mühlenwald sein? Wir kommen im Wagen nach.«
    »Du denkst aber auch gar nicht an deinen Zustand, Kitty«, sagte die alte Fürstin, die eilig durch die Tür trat.
    »Du darfst nicht so schreien.«
    Warjenka, die Kittys Zuruf und den Verweis von ihrer Mutter gehört hatte, trat rasch mit leichten Schritten zu
    Kitty heran. Die Schnelligkeit ihrer Bewegungen, die Röte, die ihr lebhaft erregtes Gesicht bedeckte, alles wies
    darauf hin, daß in ihrem Innern etwas Besonderes vorging. Kitty wußte, was das für ein besonderer Vorgang war, und
    beobachtete sie mit gespannter Aufmerksamkeit. Sie hatte jetzt Warjenka nur in der Absicht angerufen, sie in
    Gedanken für das wichtige Begebnis zu segnen, das nach Kittys Überzeugung sich heute nachmittag im Walde zutragen
    mußte.
    »Warjenka, ich werde sehr glücklich sein, wenn sich ein Ereignis zuträgt«, flüsterte sie ihr zu und küßte
    sie.
    »Kommen Sie auch mit?« fragte Warjenka verlegen den dabeistehenden Ljewin, indem sie tat, als hätte sie das, was
    Kitty zu ihr gesagt hatte, nicht gehört.
    »Ja, ich komme mit, aber nur bis zur Tenne; da bleibe ich dann.«
    »Was hast du denn da vor?« fragte Kitty.
    »Ich muß mir die neuen Getreidewagen ansehen und feststellen, ob sie etwas taugen«,

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