Anna Karenina
demnächst zu tun?«
»Es scheint, daß sie für den Winter nach Moskau ziehen wollen.«
»Wie hübsch wäre es, wenn wir alle zusammen zu ihnen führen! Wann willst du denn fahren?« fragte Stepan
Arkadjewitsch seinen jungen Freund.
»Ich will den Juli bei ihnen verleben.«
»Nun, und du? Fährst du auch mit?« wandte sich Stepan Arkadjewitsch an seine Frau.
»Ich habe es schon lange tun wollen und werde jedenfalls einmal hinfahren«, antwortete Dolly. »Sie tut mir gar
zu leid, und ich kenne sie genau. Sie ist eine ganz prächtige Frau. Ich will allein hinfahren, wenn du wieder weg
bist; dann braucht sich niemand um meinetwillen beschämt zu fühlen. Es ist sogar besser, wenn ich ohne dich dort
bin.«
»Schön, schön«, versetzte Stepan Arkadjewitsch. »Und du, Kitty?«
»Ich? Weshalb sollte ich hinfahren?« erwiderte Kitty, wurde blutrot und sah sich nach ihrem Mann um.
»Sind Sie auch mit Anna Arkadjewna bekannt?« fragte Weslowski sie. »Sie ist eine höchst anziehende Frau.«
»Ja«, antwortete sie, noch tiefer errötend, stand auf und ging zu ihrem Manne.
»Also du fährst morgen auf die Jagd?« fragte sie ihn.
Seine Eifersucht hatte in diesen wenigen Minuten, namentlich wegen der Röte, die ihre Wangen während ihres
Gespräches mit Weslowski überzogen hatte, schon einen hohen Grad erreicht. Als er jetzt ihre Frage hörte, faßte er
sie schon auf seine besondere Weise auf. Wie wunderlich es ihm auch später bei der Erinnerung vorkam, aber in
diesem Augenblick schien es ihm ganz klar, wenn sie ihn frage, ob er auf die Jagd fahren werde, so beschäftige sie
das nur deshalb, weil sie gern wissen möchte, ob er dem netten Wasenka Weslowski, in den sie sich seiner Meinung
nach bereits verliebt hatte, dieses Vergnügen bereiten werde.
»Ja, ich fahre auf die Jagd«, antwortete er in einem gezwungenen Ton, der ihm selbst widerwärtig klang.
»Bleibt doch lieber morgen noch hier; sonst hat ja Dolly ihren Mann vorher gar nicht recht zu sehen bekommen.
Ihr könnt ja übermorgen fahren«, meinte Kitty.
Ljewin war jetzt schon so weit gekommen, daß er sich Kittys Worte auf folgende Art auslegte: ›Trenne mich nicht
von ihm! Ob du fortfährst oder nicht, ist mir gleichgültig; aber gib mir die Möglichkeit, die Gesellschaft dieses
reizenden jungen Mannes zu genießen.‹
»Gewiß, gewiß, wenn du es wünschst, bleiben wir morgen hier«, antwortete Ljewin mit besonderer
Freundlichkeit.
Unterdessen war Wasenka, ohne das geringste von den Leiden zu ahnen, die seine Anwesenheit verursachte, nach
Kitty gleichfalls vom Tische aufgestanden und ging hinter ihr her, wobei er sie mit einem lächelnden, freundlichen
Blick betrachtete.
Ljewin sah diesen Blick. Er wurde ganz blaß und konnte eine Weile nicht Atem holen. ›Wie kann dieser Mensch es
sich erlauben, meine Frau so anzusehen!‹ dachte er, während es in ihm kochte.
»Also morgen? Ach ja, fahren wir!« sagte Wasenka, setzte sich auf einen Stuhl und schlug nach seiner Gewohnheit
wieder das eine Bein unter.
Ljewins Eifersucht wuchs immer mehr. Schon sah er sich als betrogener Ehemann, den die Frau und ihr Liebhaber
nur dazu nötig hatten, daß er ihnen die Bequemlichkeiten und Vergnügungen des Lebens beschaffte ... Aber trotzdem
befragte er Wasenka in liebenswürdiger, gastfreundlicher Weise nach seinen Jagden, nach seiner Flinte, nach seinen
Stiefeln und erklärte sich damit einverstanden, morgen zu fahren.
Zu Ljewins Glück machte die alte Fürstin seinen Leiden dadurch ein Ende, daß sie selbst aufstand und auch ihrer
Tochter Kitty riet, nun schlafen zu gehen. Aber auch dabei ging es nicht ohne eine neue Qual für Ljewin ab. Als
Wasenka der Hausfrau gute Nacht sagte, wollte er wieder die Hand küssen; aber Kitty zog sie errötend weg und sagte
mit naiver Unhöflichkeit, für die sie nachher von der Mutter gescholten wurde:
»Das ist bei uns nicht üblich.«
In Ljewins Augen hatte sie schon einen Fehler begangen, weil sie ein derartiges Benehmen überhaupt hatte
aufkommen lassen, und einen noch größeren, weil sie in so ungeschickter Weise zeigte, daß ihr dieses Benehmen nicht
gefiel.
»Aber wie kann man überhaupt jetzt schlafen gehen!« meinte Stepan Arkadjewitsch, der beim Abendessen einige
Gläser Wein getrunken hatte und dadurch in seine vergnügteste, poetischste Stimmung gelangt war. »Sieh mal, Kitty«,
sagte er und wies auf den Mond, der hinter den Linden heraufkam, »wie wunderhübsch! Weslowski, das wäre
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