Anna Karenina
einverstanden«, unterbrach Kitty sie; sie ärgerte sich über ihre
Mutter, weil sie in einer solchen Sache Sergei Iwanowitsch als Richter anrief.
Während des Gespräches wurde in der Allee das Schnauben von Pferden und das Knirschen von Rädern auf dem Kies
vernehmbar.
Kaum war Dolly aufgestanden, um ihrem Manne entgegenzugehen, als unten aus dem Fenster des Zimmers, in dem
Grigori seinen Unterricht erhielt, Ljewin heraussprang und darauf auch seinen Schüler heraushob.
»Das ist Stiwa!« rief Ljewin zum Balkon hinauf. »Wir waren eben fertig, Dolly, sei ganz unbesorgt!« fügte er
hinzu und rannte wie ein Junge dem Wagen entgegen.
»Is ea id, ejus 1 ejus ejus!« schrie Grigori,
während er in großen Sätzen die Allee entlang lief.
»Es ist noch jemand darin. Gewiß Papa!« rief Ljewin vom Eingang der Allee, wo er stehengeblieben war, zurück.
»Kitty, steig nicht die steile Treppe hinunter, geh hintenherum die andere.«
Aber in der Vermutung, daß der zweite Insasse des Wagens der alte Fürst sei, hatte Ljewin sich geirrt. Als er
dem Wagen näher gekommen war, erblickte er neben Stepan Arkadjewitsch nicht den Fürsten, sondern einen hübschen,
etwas völligen jungen Mann, der auf dem Kopfe eine schottische Mütze mit langen Bändern trug. Dies war Wasenka
Weslowski, ein weitläufiger Vetter der Schtscherbazkis, ein glänzender Kavalier in den Petersburger und Moskauer
Salons, »ein sehr netter Kerl und leidenschaftlicher Jäger«, wie ihn Stepan Arkadjewitsch vorstellte.
Ohne auch nur im geringsten verlegen zu werden über die Enttäuschung, die er dadurch herbeigeführt hatte, daß er
statt des alten Fürsten mitgekommen war, begrüßte Weslowski höchst vergnügt Ljewin unter Berufung auf ihre frühere
Bekanntschaft; dann half er dem kleinen Grigori in den Wagen und hob ihn über den Jagdhund weg, den sich Stepan
Arkadjewitsch mitgebracht hatte.
Ljewin stieg nicht in den Wagen, sondern ging hinterher. Er war etwas verstimmt darüber, daß der alte Fürst
nicht mitgekommen war, den er immer mehr liebgewann, je näher er ihn kennenlernte, sowie darüber, daß sich da
dieser Wasenka Weslowski, so ein ganz fremder, überflüssiger Mensch, eingefunden hatte. Noch fremder und
überflüssiger erschien er ihm, als sie zur Haustür gelangten, wo sich der ganze Schwarm der Erwachsenen und Kinder
in lebhafter Erregung versammelt hatte, und Ljewin sehen mußte, daß Wasenka Weslowski mit besonders freundlicher,
galanter Miene Kitty die Hände küßte.
»Ich bin ja ein Vetter Ihrer Frau, und zudem sind wir alte Bekannte«, sagte Wasenka Weslowski und drückte noch
einmal Ljewin recht kräftig und herzlich die Hand.
»Nun, wie steht's? Ist Wild da?« wandte sich Stepan Arkadjewitsch an Ljewin, sobald er nur damit fertig geworden
war, die einzelnen zu begrüßen. »Ich und der hier, wir haben die allergrausamsten Absichten. Natürlich, maman, in
Moskau hat sich das junge Ehepaar wer weiß wie lange nicht wieder blicken lassen. Na, Tanja, es ist auch für dich
etwas da; hol dir's mal, im Wagen, hinten«, so redete er nach allen Seiten. »Wie frisch du wieder geworden bist,
liebste Dolly«, sagte er zu seiner Frau und küßte ihr noch einmal die Hand, die er in der seinen hielt und mit der
andern zärtlich von oben klopfte.
Ljewin, der noch wenige Minuten vorher in fröhlichster Stimmung gewesen war, richtete jetzt finstere Blicke auf
alle, und alles mißfiel ihm.
›Wen mag er wohl gestern mit diesen Lippen geküßt haben?‹ dachte er, als er Stepan Arkadjewitschs zärtliches
Benehmen gegen seine Frau bemerkte. Er blickte Dolly beobachtend an, und auch diese erregte sein Mißfallen.
›Sie glaubt ja gar nicht an seine Liebe. Also worüber freut sie sich denn so? Widerlich!‹ dachte Ljewin.
Er sah zur Fürstin hin, die ihm noch kurz vorher so liebenswürdig erschienen war, und es mißfiel ihm die Art,
wie sie, als wäre sie hier zu Hause, diesen Wasenka mit seinen Bändern willkommen hieß.
Selbst Sergei Iwanowitsch, der gleichfalls vor die Tür getreten war, machte ihm einen unangenehmen Eindruck
durch die gekünstelte Herzlichkeit, mit der er Stepan Arkadjewitsch begrüßte, während doch Ljewin wußte, daß sein
Bruder ihn weder gern mochte noch achtete.
Auch Warjenka, auch sie war ihm zuwider wegen der scheinheiligen Miene, die sie diesem Herrn gegenüber bei der
Vorstellung machte, obwohl sie doch sicherlich nur daran dachte, wie sie einen Mann bekommen könne.
Am
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