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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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so die
    richtige Zeit für eine Serenade. Weißt du, er hat eine prächtige Stimme. Er und ich, wir haben unterwegs in einem
    fort gesungen. Er hat ein paar sehr schöne, neue Lieder mitgebracht. Die sollte er einmal mit Warwara Andrejewna
    zusammen singen.«
    Nachdem alle sich auf ihr Zimmer zurückgezogen hatten, ging Stepan Arkadjewitsch noch lange mit Weslowski in der
    Allee auf und ab, und man hörte sie eines der neuen Lieder singen.
    Auch Ljewin hörte ihre Stimmen, als er mit gerunzelter Stirn im Schlafzimmer seiner Frau auf einem Sessel saß
    und auf all ihre Fragen, was denn eigentlich mit ihm sei, hartnäckig schwieg; aber als sie ihn schließlich selbst
    mit einem zaghaften Lächeln fragte: »Hat dir vielleicht an Weslowski etwas mißfallen?« da brach bei ihm der Damm,
    und er sagte ihr alles frei heraus; durch die eigenen Ausdrücke, deren er sich bediente, fühlte er sich beleidigt
    und geriet so in immer größere Wut.
    Er stand vor ihr mit finster zusammengezogenen Brauen, unter denen die Augen schrecklich hervorfunkelten, und
    preßte die starken Hände gegen seine Brust, als müßte er alle seine Kräfte anstrengen, um sich zurückzuhalten. Der
    Ausdruck seines Gesichtes wäre hart, ja grausam gewesen, wenn er nicht zugleich auch hätte eine innere Qual
    erkennen lassen, von der sich Kitty gerührt fühlte. Seine Kinnbacken bebten, und die Stimme gehorchte ihm
    nicht.
    »Du kannst dir wohl selbst sagen, daß ich nicht eifersüchtig bin; das ist ein ekelhaftes Wort. Ich kann nicht
    eifersüchtig sein und glauben, daß ... Ich kann mein Gefühl nicht ausdrücken, aber es ist ein furchtbares Gefühl
    ... Ich bin nicht eifersüchtig; aber ich fühle mich gekränkt, beleidigt dadurch, daß jemand zu denken wagt ... daß
    jemand dich mit solchen Blicken anzusehen wagt ...«
    »Mit welchen Blicken denn?« fragte Kitty und bemühte sich mit größtmöglicher Gewissenhaftigkeit, sich alle Reden
    und Gesten des heutigen Abends mit allen ihren Besonderheiten ins Gedächtnis zurückzurufen.
    Im Grunde ihres Herzens hatte sie die Empfindung, etwas Auffälliges sei vor allem an der Art zu finden gewesen,
    wie er ihr nach dem andern Ende des Tisches nachgegangen sei; aber das wagte sie nicht einmal sich selbst
    einzugestehen, und noch viel weniger hätte sie sich entschließen können, es ihm zu sagen und seine Qualen dadurch
    zu vergrößern.
    »Was kann denn aber an mir Anziehendes sein, so wie ich jetzt aussehe? ...«
    »Oh!« rief er und griff sich an den Kopf. »Das hättest du nicht sagen sollen! ... Also wenn du anziehend wärest
    ...«
    »Nein, nein, Konstantin, warte doch, höre doch nur!« sagte sie und sah ihn mit tieftraurigem, mitleidsvollem
    Ausdruck an. »Wie kannst du denn so etwas denken? Wo doch für mich andere Menschen gar nicht da sind, gar nicht
    bestehen! ... Willst du, daß ich überhaupt mit keinem Menschen mehr zusammenkommen soll?«
    Im ersten Augenblick hatte seine Eifersucht sie gekränkt; sie hatte sich darüber geärgert, daß ihr auch die
    kleinste, harmloseste Zerstreuung verboten sein sollte. Aber jetzt hätte sie gern nicht nur solche Kleinigkeiten,
    sondern alles, alles zum Opfer gebracht, um ihn zu beruhigen und von den Qualen, die er litt, zu befreien.
    »Stell dir nur einmal vor, wie schrecklich und zugleich wie lächerlich meine Lage ist«, fuhr er verzweifelt mit
    flüsternder Stimme fort. »Er ist Gast in meinem Hause, und er hat nichts Unanständiges im eigentlichen Sinne des
    Wortes getan, abgesehen von seinem ganzen freien Benehmen und davon, daß er immer auf dem untergeschlagenen Bein
    sitzt. Er ist der Ansicht, daß das durchaus guter Ton ist, und darum ist es meine Schuldigkeit, gegen ihn
    liebenswürdig zu sein.«
    »Aber Konstantin, du übertreibst«, erwiderte Kitty, die sich im Grunde ihres Herzens über die Stärke der Liebe
    freute, die jetzt in seiner Eifersucht zum Ausdruck kam.
    »Das Allerschrecklichste ist, daß du die gleiche bist, die du immer warst, und jetzt, wo du für mich ein solches
    Heiligtum bist, wo wir so glücklich, so ganz besonders glücklich waren, da muß auf einmal dieser elende Patron ...
    Nein, das will ich nicht sagen; wozu schimpfe ich auf ihn? Ich habe ihm ja eigentlich nichts vorzuwerfen. Aber
    warum soll mein und dein Glück ...«
    »Weißt du, ich glaube zu verstehen, woher das alles gekommen ist«, begann Kitty.
    »Nun woher? Woher?«
    »Ich sah, wie du auf uns blicktest, als wir beim Abendessen miteinander

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