Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
Vom Netzwerk:
allermeisten aber ärgerte er sich über Kitty, weil sie auf den heiteren Ton einging, in dem dieser Herr seine
    Ankunft auf dem Gute wie einen Festtag für sich und für alle behandelte, und besonders widerwärtig war ihm das
    eigentümliche Lächeln, mit dem sie sein Lächeln erwiderte.
    In lärmendem Gespräche begaben sich alle ins Haus; aber sobald sie nur sämtlich Platz genommen hatten, drehte
    sich Ljewin um und ging hinaus.
    Kitty sah, daß mit ihrem Manne etwas vorgegangen war. Gern hätte sie einen Augenblick erhascht, um mit ihm
    allein zu sprechen; aber er hatte es eilig, von ihr wegzukommen, indem er sagte, er müsse notwendig ins Kontor.
    Schon lange waren ihm die Wirtschaftsangelegenheiten nicht so wichtig erschienen wie heute. ›Für diese Leute da‹,
    dachte er, ›ist immer Feiertag; ich aber habe meine Werktagsarbeit, die keinen Aufschub leidet und von der ich
    leben muß.‹
Fußnoten
    1 (lat.) Nominativ und Genitiv Singular
    von is (dieser).

7
    Ins Haus kam Ljewin erst zurück, als jemand zu ihm geschickt wurde, ihn zum Abendessen zu rufen. Auf der Treppe
    standen Kitty und Agafja Michailowna und berieten über die Weine, die beim Abendessen auf den Tisch kommen
    sollten.
    »Wozu macht ihr denn soviel Aufhebens? Setzt ihnen doch unseren gewöhnlichen Tischwein vor.«
    »Nein, den mag Stiwa nicht ... Warte doch, Konstantin, was hast du denn eigentlich?« rief ihm Kitty zu, während
    sie ihm nacheilte; aber er ging erbarmungslos, ohne auf sie zu warten, mit großen Schritten in das Speisezimmer und
    beteiligte sich dort sofort an der lebhaften allgemeinen Unterhaltung, bei der Wasenka Weslowski und Stepan
    Arkadjewitsch besonders hervortraten.
    »Nun, wie ist's? Wollen wir morgen auf die Jagd fahren?« fragte Stepan Arkadjewitsch.
    »Ach ja, tun wir das!« erwiderte Weslowski. Er setzte sich, seinen Platz wechselnd, auf einen andern Stuhl, aber
    seitwärts und so, daß er das eine seiner fetten Beine unter den Leib schob.
    »Es wird mir ein großes Vergnügen sein. Fahren wir also! Haben Sie in diesem Jahre schon gejagt?« sagte Ljewin
    zu Weslowski, während er dessen Bein aufmerksam betrachtete; er sprach mit jener gemachten Freundlichkeit, die
    Kitty so genau an ihm kannte und die ihm so schlecht stand. »Ob wir Schnepfen finden werden, weiß ich nicht; aber
    Bekassinen sind viele da. Nur müssen wir recht früh fahren. Werden Sie auch nicht müde sein? Bist du sehr müde
    geworden, Stiwa?«
    »Ich müde? Ich bin noch niemals müde geworden. Meinetwegen können wir die ganze Nacht aufbleiben! Wollen noch
    ein bißchen spazierengehen!«
    »Im Ernst, bleiben wir die Nacht über auf! Famos!« stimmte ihm Weslowski bei.
    »Oh, davon sind wir überzeugt, daß du eine Nacht durchmachen kannst und auch andere Leute dazu verleitest«,
    sagte Dolly zu ihrem Mann in jenem Tone leisen Spottes, in dem sie jetzt fast immer mit ihm verkehrte. »Aber meiner
    Ansicht nach ist es jetzt schon Zeit, schlafen zu gehen ... Ich gehe; Abendbrot möchte ich heute nicht essen.«
    »Aber nein, bleib doch noch ein Weilchen sitzen, liebste Dolly«, bat Stepan Arkadjewitsch und ging um den großen
    Tisch, an dem gegessen wurde, herum zu ihr. »Ich möchte dir noch so vieles erzählen.«
    »Es wird wohl nichts Besonderes sein.«
    »Weißt du denn, daß Weslowski bei Anna gewesen ist? Und er wird bald wieder zu ihnen hinfahren. Sie wohnen ja
    nur siebzig Werst von euch entfernt. Und ich will unter allen Umständen auch einmal hin. Weslowski, komm doch mal
    her!«
    Wasenka kam zu den Damen heran und setzte sich neben Kitty.
    »Ach, bitte, erzählen Sie doch; Sie sind bei ihr gewesen? Wie geht es ihr?« wandte sich Darja Alexandrowna zu
    ihm.
    Ljewin blieb am andern Ende des Tisches und sah, während er sein Gespräch mit der Fürstin und Warjenka ohne
    Unterbrechung fortsetzte, daß zwischen Stepan Arkadjewitsch, Dolly, Kitty und Weslowski sich ein lebhaftes,
    geheimnisvolles Gespräch entwickelte. Und nicht genug damit, daß dort ein solches geheimnisvolles Gespräch geführt
    wurde, er sah auch auf dem Gesicht seiner Frau den Ausdruck einer unverstellten Empfindung, als sie mit
    unverwandten Augen in das hübsche Gesicht dieses Wasenka blickte, der sehr lebhaft irgend etwas erzählte.
    »Es geht sehr nett bei ihnen zu«, berichtete Wasenka über Wronski und Anna. »Ich maße mir selbstverständlich
    kein Urteil über die beiden an; aber man fühlt sich in ihrem Hause wie in einer Familie.«
    »Was beabsichtigen sie denn

Weitere Kostenlose Bücher