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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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...«
    Und ganz unerwartet fing die Stimme der alten Fürstin an zu zittern. Die Töchter schwiegen und warfen einander
    einen Blick zu. ›Maman macht sich doch immer allerlei traurige Gedanken‹, sagten sie einander mit diesem Blick. Sie
    wußten nicht, daß, wie wohl sich die Fürstin auch bei ihrer Tochter fühlte und wie notwendig sie sich auch hier
    vorkam, sie doch für ihre eigene Person und auch um ihres Mannes willen recht traurig war, seit sie ihre letzte,
    liebe Tochter verheiratet hatten und ihr Haus leer geworden war.
    »Was möchten Sie, Agafja Michailowna?« fragte Kitty die alte Haushälterin, die mit geheimnisvoller Miene und
    vielsagendem Gesicht dastand.
    »Wegen des Abendessens.«
    »Nun, das ist ja ganz schön«, sagte Dolly. »Dann geh du und triff deine Anordnungen, und ich will gehen und mit
    Grigori seine Aufgaben wiederholen. Er hat sowieso heute noch nichts getan.«
    »Aber das ist doch mein Amt! Nein, Dolly, ich gehe«, rief Ljewin und sprang auf.
    Grigori, der schon ins Gymnasium eingetreten war, mußte im Sommer seine Aufgaben wiederholen. Darja Alexandrowna
    hatte schon in Moskau mit ihrem Sohne zusammen Lateinisch gelernt, und jetzt, wo sie bei Ljewins zu Besuch waren,
    hatte sie es sich zur Regel gemacht, mit ihm wenigstens einmal am Tage die schwierigsten Teile aus dem
    Rechenunterricht und aus dem Lateinischen zu wiederholen. Ljewin hatte sich erboten, ihr diese Arbeit abzunehmen;
    aber als die Mutter einmal bei seinem Unterricht zugehört und bemerkt hatte, daß Ljewin es nicht ganz so machte wie
    der Lehrer in Moskau, da hatte sie ihm, allerdings sehr verlegen und bemüht, ihn nicht zu kränken, aber doch mit
    aller Entschiedenheit erklärt, man müsse nach dem Buche gehen, genau wie der Lehrer, und sie wolle es lieber wieder
    selbst übernehmen. Ljewin hatte sich geärgert, sowohl über Stepan Arkadjewitsch, weil dieser, lässig wie er war,
    die häuslichen Arbeiten seines Sohnes nicht selbst überwachte, so daß es die Mutter tun mußte, die von den
    betreffenden Unterrichtsgegenständen nichts verstand, wie auch über die Lehrer, weil sie den Kindern so schlechten
    Unterricht erteilten; aber er hatte seiner Schwägerin versprochen, beim Unterricht so zu verfahren, wie sie es
    wünschte. So hatte er denn Grigori seitdem nicht nach seiner eigenen Methode, sondern nach dem Buche unterrichtet,
    und daher hatte er es ohne rechte Lust getan und die Lehrstunde nicht selten vergessen. So war es auch an diesem
    Tage gegangen.
    »Nein, ich will gehen, Dolly; bleib du nur sitzen«, sagte er. »Wir werden alles ganz ordentlich, streng nach dem
    Buche, durchnehmen. Aber wenn Stiwa kommt, dann fahren wir allerdings auf die Jagd; dann müssen wir mit dem
    Unterricht aussetzen.«
    Damit ging Ljewin zu Grigori.
    In ganz ähnlicher Weise sprach Warjenka zu Kitty. Warjenka hatte es auch in dem glücklichen, wohleingerichteten
    Ljewinschen Hause verstanden, sich nützlich zu machen.
    »Ich werde schon für das Abendessen sorgen; bleiben Sie nur ruhig sitzen«, sagte sie, stand auf und ging zu
    Agafja Michailowna.
    »Ja, ja, gewiß sind keine jungen Hühner zu bekommen gewesen. Dann müssen wir von unseren ...«, sagte Kitty.
    »Ich werde das schon mit Agafja Michailowna überlegen« – und Warjenka verschwand mit dieser.
    »Welch ein liebes Mädchen!« bemerkte die Fürstin.
    »Sie ist nicht nur lieb, maman, sondern geradezu entzückend, wie man nicht leicht eine zweite findet.«
    »Also Sie erwarten heute Stepan Arkadjewitsch?« fragte Sergei Iwanowitsch, der augenscheinlich nicht wünschte,
    daß das Gespräch über Warjenka fortgesetzt werde. »Es dürfte schwer sein, zwei Schwäger aufzutreiben, die weniger
    Ähnlichkeit miteinander hätten«, fuhr er mit feinem Lächeln fort: »Der eine nur für die Gesellschaft lebend und in
    ihr munter und lebenslustig, wie ein Fisch im Wasser; der andere, unser Konstantin, auf allen anderen Gebieten
    lebendig, rasch und eifrig, aber sobald er sich in Gesellschaft befindet, wird er entweder starr wie Holz, oder er
    schlägt sinnlos um sich wie ein Fisch auf dem Trockenen.«
    »Ja, er ist sehr unbedacht«, bemerkte die Fürstin, zu Sergei Iwanowitsch gewendet. »Ich wollte Sie wirklich
    schon bitten, ihm doch auseinanderzusetzen, daß sie« (sie deutete auf Kitty) »unmöglich hier bleiben kann, sondern
    unbedingt nach Moskau fahren muß. Er sagt, wir sollten einen Arzt hierherkommen lassen ...«
    »Maman, er wird alles tun, er ist mit allem

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