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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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sich auf zwei Tage von ihrem Manne zu trennen; aber als sie seine von
    frischer Lebenslust erfüllte Gestalt erblickte, die in den Jagdstiefeln und der weißen Hemdbluse besonders groß und
    stark erschien, und auf seinem Gesicht ein gewisses leuchtendes Glänzen jägerhafter Aufregung wahrnahm, für das sie
    kein rechtes Verständnis hatte, da vergaß sie um seiner Freude willen ihre eigene Betrübnis und nahm heiter von ihm
    Abschied.
    »Verzeihung, meine Herren!« sagte er, als er eilig vor die Tür trat. »Ist auch das Frühstück eingepackt? Warum
    ist der Fuchs rechts eingespannt? Na, es kommt nicht drauf an. Laska, laß sein, kusch dich!«
    »Nimm sie zu den Zeitschafen in die Herde«, wandte er sich an den Viehwärter, der vor der Tür mit einer Frage
    wegen der Hammel auf ihn gewartet hatte. »Verzeihung, da kommt noch so ein Bösewicht.«
    Ljewin sprang von dem Jagdwagen, auf dem er sich gerade zurechtsetzen wollte, wieder herunter zu einem
    Zimmermann, der, ein Klaftermaß in der Hand, sich dem Hause näherte.
    »Na ja, ins Kontor ist er gestern nicht gekommen, und jetzt hält er mich auf. Nun, was willst du?«
    »Gestatten Sie, daß ich noch eine Windung anbringe. Wir brauchen nur drei Stufen hinzuzufügen. Dann treffen wir
    es ganz genau. Es wird so viel bequemer sein.«
    »Du hättest auf mich hören sollen«, erwiderte Ljewin ärgerlich. »Ich habe dir gesagt: ›Stelle zuerst die
    Treppenwangen auf und dann schneide die Stufen ein.‹ Jetzt ist das nicht mehr in Ordnung zu bringen. Tu, was ich
    angeordnet habe, und mache eine neue Treppe.«
    Die Sache war die, daß bei dem im Bau befindlichen Nebengebäude der Zimmermann die Treppe verpfuscht hatte, weil
    er sie nicht an Ort und Stelle angefertigt und die Steigung nicht richtig berechnet hatte, so daß nun, als die
    Treppe an ihrem Platz aufgestellt wurde, alle Stufen abschüssig waren. Jetzt wollte der Zimmermann die gleiche
    Treppe beibehalten und drei Stufen hinzufügen.
    »Es wird so weit besser sein.«
    »Aber wo wird denn deine Treppe mit den drei Stufen endigen?«
    »Aber ich bitte Sie!« sagte der Zimmermann mit geringschätzigem Lächeln. »Ganz genau wird sie auftreffen.
    Nämlich wenn sie so von unten anfängt«, fuhr er mit erläuternden Handbewegungen fort, »so geht sie so weiter und
    dann so und kommt dann oben an.«
    »Aber die drei Stufen machen die Treppe doch auch länger ... Wo wird sie denn dann eigentlich auftreffen?«
    »Also, wenn sie nämlich von unten so geht, dann kommt sie so an«, sagte der Zimmermann hartnäckig in belehrendem
    Tone.
    »Unter die Decke und gegen die Wand wird sie gehen.«
    »Aber ich bitte Sie! So kommt sie von unten; sie geht so und dann so und trifft oben auf.«
    Ljewin langte sich seinen Ladestock und zeichnete ihm im Staube die Treppe auf.
    »Na, siehst du es nun?«
    »Wie Sie befehlen«, versetzte der Zimmermann, dessen Augen auf einmal aufleuchteten; offenbar hatte er die Sache
    endlich begriffen. »Da werden wir wohl eine neue Treppe machen müssen.«
    »Na also, dann mach es, wie ich gesagt habe!« rief Ljewin und stieg auf den Wagen. »Fahr zu! Halte die Hunde
    fest, Filipp!«
    Nachdem Ljewin nun alle Familien- und Wirtschaftsfragen hinter sich gelassen hatte, empfand er ein so starkes
    Gefühl von Lebensfreude und Erwartung, daß er keine Lust hatte zu reden. Außerdem befand er sich in jenem Zustand
    aufgeregter Spannung, der bei jedem Jäger eintritt, wenn er sich dem Jagdgebiet nähert. Wenn ihn jetzt etwas
    beschäftigte, so waren es nur solche Fragen: ob sie im Kolpenskischen Sumpfe etwas finden würden, wie sich Laska im
    Vergleich zu Crack bewähren und ob er selbst heute gut schießen werde. Wenn er sich nur nicht vor diesem neuen
    Ankömmling blamierte; wenn nur nicht Oblonski besser schoß als er! – auch diese Gedanken gingen ihm durch den
    Kopf.
    Oblonski war in ähnlicher Stimmung und gleichfalls nicht zum Reden geneigt. Nur Wasenka Weslowski hörte mit
    seinem lustigen Geschwätz keinen Augenblick auf. Ljewin, der ihm zuhörte, schämte sich jetzt ordentlich, wenn er
    daran dachte, wie unrecht er ihm gestern getan hatte. Wasenka war wirklich ein prächtiger junger Mann, von
    natürlichem Wesen, gutherzig und sehr heiteren Gemütes. Wäre Ljewin noch als Junggeselle mit ihm zusammengetroffen,
    so würde er seine nähere Bekanntschaft gesucht haben. Seine Art, das Leben wie einen Festtag aufzufassen, und eine
    gewisse vornehme Ungezwungenheit mißfielen Ljewin einigermaßen. Es

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