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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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seit Stiwa gekommen ist.«
    Dolly sah ihn mit klugen, verständnisvollen Augen an.
    »Nun sage mir, Hand aufs Herz; hat etwa ... ich meine nicht Kitty ... sondern hat etwa dieser Herr sich eines
    Tones bedient, in dem man etwas für den Ehemann Unangenehmes ... nein, nicht etwas Unangenehmes, sondern etwas
    Furchtbares, Beleidigendes finden kann?«
    »Ja nun, wie soll ich dir darauf antworten ... Du bleibst in der Ecke stehen, ganz still!« wandte sie sich an
    Mascha, die, sobald sie auf dem Gesicht ihrer Mutter ein ganz leises Lächeln wahrgenommen hatte, einen Versuch
    gemacht hatte, sich umzudrehen. »Die Meinung unserer Gesellschaftskreise würde sein, daß er sich benimmt, wie sich
    alle jungen Männer benehmen. Il fait la cour à une jeune et jolie femme 2 , und ein Ehemann, der die Ansicht dieser Gesellschaftskreise teilt, kann sich
    dadurch nur geschmeichelt fühlen.«
    »Ja, ja«, erwiderte Ljewin finster, »aber bemerkt hast du es?«
    »Nicht nur ich, sondern auch Stiwa hat es bemerkt. Er hat nach dem Tee geradezu zu mir gesagt: je crois que
    Weslowski fait un petit brin de cour à Kitty. 3 «
    »Nun schön, jetzt bin ich beruhigt. Ich werde ihn aus dem Hause werfen«, antwortete Ljewin.
    »Was redest du? Bist du von Sinnen?« rief Dolly erschrocken. »Was redest du, Konstantin? So komm doch zur
    Besinnung!« fügte sie lachend hinzu. »Na, du kannst jetzt zu Fanny gehen«, sagte sie zu Mascha. »Nein, wenn du nun
    einmal solche Absichten hast, so kann ich es ja Stiwa sagen. Der wird ihn schon fortschaffen. Er kann sagen, du
    erwartetest noch mehr Gäste. Übrigens paßt er wirklich nicht in dieses Haus hinein.«
    »Nein, nein, ich werde es selbst besorgen.«
    »Aber du wirst einen argen Streit mit ihm haben ...«
    »Keineswegs. Es wird für mich eine sehr vergnügliche Sache sein, wirklich sehr vergnüglich«, versetzte Ljewin
    mit blitzenden Augen. »Na, nun verzeih ihr nur, Dolly! Sie wird es nicht wieder tun«, sagte er über die kleine
    Verbrecherin, die noch nicht zu Fanny gegangen war, sondern unschlüssig der Mutter gegenüberstand, mit gesenktem
    Kopfe zu ihr hinschielte und einen Blick von ihr aufzufangen suchte.
    Die Mutter sah sie an. Die Kleine brach in Schluchzen aus, vergrub sich mit dem Gesicht zwischen den Knien der
    Mutter, und Dolly legte ihr ihre magere, zarte Hand auf den Kopf.
    ›Was haben wir und er überhaupt miteinander zu schaffen?‹ dachte Ljewin und ging hin, um Weslowski
    aufzusuchen.
    Als er durch das Vorzimmer kam, gab er Befehl, die Kalesche für eine Fahrt nach dem Bahnhof anzuspannen. »Es ist
    gestern eine Feder daran zerbrochen«, antwortete der Diener.
    »Nun, dann das Reisewägelchen, aber schnell. Wo ist der fremde Herr?«
    »Der Herr ist in sein Zimmer gegangen.«
    Dort traf ihn Ljewin. Wasenka hatte gerade seine Sachen aus dem Koffer gepackt, die neuen Lieder zurechtgelegt
    und war im Augenblick damit beschäftigt, ein Paar Gamaschen anzuprobieren, um auszureiten.
    Ob nun Ljewins Gesicht irgendwelchen besonderen Ausdruck trug oder ob Wasenka selbst das Gefühl hatte, daß ce
    petit brin de cour 4 , den er angefangen hatte, in
    dieser Familie denn doch nicht recht angebracht sei, jedenfalls geriet er bei Ljewins Eintritt in eine gewisse
    Verlegenheit, soweit das bei einem gewandten Lebemann eben möglich ist.
    »Sie reiten in Gamaschen?«
    »Ja, es ist doch weit sauberer«, versetzte Wasenka, stellte sein dickes Bein auf einen Stuhl, machte den
    untersten Haken zu und lächelte heiter und gutmütig.
    Er war zweifellos ein guter Junge, und Ljewin bedauerte ihn und schämte sich als Wirt, da er die Schüchternheit
    in Wasenkas Blick bemerkte.
    Auf dem Tische lag das Bruchstück eines Stockes, den sie an diesem Vormittag gemeinschaftlich beim Turnen
    zerbrochen hatten, als sie den Versuch machten, die verquollenen Barrenholme zu heben. Ljewin nahm dieses
    Bruchstück in die Hände und begann von dem zersplitterten Ende die einzelnen Splitter abzureißen, da er nicht
    wußte, womit er bei dem, was er sagen wollte, den Anfang machen solle.
    »Ich wollte ...« Er stockte; aber plötzlich dachte er an Kitty und an alles, was sich begeben hatte, blickte ihm
    mit festem Entschluß in die Augen und sagte: »Ich habe für Sie einen Wagen anspannen lassen.«
    »Wieso?« fragte Wasenka verwundert. »Wohin geht denn die Fahrt?«
    »Sie sollen wegfahren, nach der Bahn«, antwortete Ljewin finster und zerzupfte das Ende des Stockes.
    »Reisen Sie weg, oder hat sich etwas

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