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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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hinausgehen; aber Ljewin sagte zu ihm: »Bleiben Sie nur, lassen Sie sich nicht stören.«
    »Der Zug geht um drei?« fragte der Deutsche. »Ich möchte ihn nicht gern verpassen.«
    Ljewin gab ihm keine Antwort und ging selbst mit seiner Frau hinaus.
    »Nun, was haben Sie mir zu sagen?« fragte er auf französisch.
    Er blickte ihr nicht ins Gesicht und wollte nicht sehen, wie sie, bei ihrem Zustande, über das ganze Gesicht
    zitterte und bebte und ganz jammervoll und unglücklich aussah.
    »Ich ... ich wollte sagen, daß wir so nicht weiterleben können, daß das eine Qual ist ...«, murmelte sie.
    »Da sind Dienstboten beim Anrichten«, sagte er ärgerlich. »Machen Sie keine Szene.«
    »Nun, dann wollen wir dorthin gehen.«
    Sie standen in einem Durchgangszimmer. Kitty wollte in das anstoßende Zimmer eintreten; aber dort gab die
    Engländerin gerade Tanja Unterricht.
    »Nun, dann wollen wir in den Garten gehen.«
    Im Garten stießen sie auf einen Arbeiter, der den Weg reinigte. Ohne daran zu denken, daß dieser Kittys
    verweintes und Ljewins aufgeregtes Gesicht bemerken werde, und ohne daran zu denken, daß es aussah, als flüchteten
    sie von irgendwelchem Unglück fort, gingen sie schnellen Schrittes vorwärts, da sie sich der Notwendigkeit bewußt
    waren, sich miteinander auszusprechen, einander zu überzeugen, miteinander allein zu sein und sich so von der Qual
    zu befreien, die sie beide ausstanden.
    »So können wir nicht weiterleben! Das ist eine Qual! Ich leide unerträglich und du auch. Und weswegen?« sagte
    sie, als sie endlich eine einsame Bank an einer Biegung der Lindenallee erreicht hatten.
    »Sage mir nur das eine: lag in seinem Ton etwas Unanständiges, etwas Unreines, eine entsetzliche Beleidigung?«
    fragte er, indem er wieder vor sie in derselben Haltung, mit den Fäusten vor der Brust, hintrat, wie er kürzlich in
    der Nacht vor ihr gestanden hatte.
    »Ja, es lag so etwas darin«, erwiderte sie mit zitternder Stimme. »Aber, Konstantin, siehst du denn nicht, daß
    ich keine Schuld trage? Ich wollte heute morgen gleich von Anfang an einen ablehnenden Ton anschlagen, aber solche
    Menschen ... Warum ist er hergekommen? Wie glücklich waren wir!« sagte sie; ein Schluchzen, das ihren ganzen,
    voller gewordenen Körper erschütterte, hinderte sie, weiterzusprechen.
    Der Gartenarbeiter sah mit Verwunderung, wie sie, obwohl niemand sie verfolgt hatte und nichts dagewesen war,
    wovor sie hätten zu flüchten brauchen, und obwohl sie auch nichts besonders Erfreuliches auf dem Bänkchen gefunden
    haben konnten – der Gartenarbeiter sah, wie sie nun an ihm vorüber mit beruhigten, strahlenden Gesichtern zum Hause
    zurückkehrten.
Fußnoten
    1 (frz.) Treten Sie ein!

15
    Nachdem Ljewin seine Frau hinaufbegleitet hatte, begab er sich nach den von Dolly bewohnten Räumen. Diese hatte
    heute einen recht aufregenden Tag. Sie ging im Zimmer auf und ab und sprach zornig zu ihrem Töchterchen Mascha, das
    in einer Ecke stand und heulte.
    »Den ganzen Tag sollst du in der Ecke stehen, und dein Mittagessen sollst du allein essen, und nicht eine
    einzige Puppe sollst du heute zu sehen bekommen, und ein neues Kleid mache ich dir auch nicht«, sagte sie; sie
    wußte selbst nicht, womit sie sie noch weiter bestrafen sollte.
    »Nein, welch ein garstiges Kind das ist!« wandte sie sich zu Ljewin. »Wo sie nur diese häßlichen Neigungen her
    hat?«
    »Was hat sie denn getan?« fragte in ziemlich gleichgültigem Tone Ljewin, der über seine eigene Angelegenheit mit
    Dolly hatte sprechen wollen und sich nun darüber ärgerte, daß er so zur Unzeit gekommen war.
    »Sie war mit Grigori in die Himbeeren gegangen, und da ... nein, ich kann es gar nicht sagen, was sie da getan
    hat. Tausendmal habe ich schon bedauert, daß Miß Hull nicht mehr da ist. Diese paßt auf nichts auf, die reine
    Maschine ... Figurez vous, que la petite ... 1 «
    Darja Alexandrowna berichtete über Maschas Verbrechen.
    »Daraus folgt noch weiter nichts; das sind ganz und gar keine häßlichen Neigungen; das ist einfach Mutwille«,
    suchte Ljewin sie zu beruhigen.
    »Aber auch du bist verstimmt? Was hat dich denn hergeführt?« fragte Dolly. »Ist bei euch im Wohnzimmer etwas
    los?«
    Aus dem Tone dieser Frage schöpfte Ljewin die Überzeugung, daß es ihm nicht schwer werden würde, das zu sagen,
    was er zu sagen beabsichtigte.
    »Ich bin nicht dort gewesen; ich war mit Kitty allein im Garten. Wir waren zum zweiten Male miteinander böse,
    seit ...

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