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Anna Karenina

Anna Karenina

Titel: Anna Karenina Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lew Tolstoi
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und interessiert. Bitte, reden Sie doch ein bißchen mit ihm; im wünsche so sehr, ihm eine Zerstreuung,
    eine Ablenkung zu verschaffen. Er ist so gedrückt. Und unglücklicherweise hat er auch noch Zahnschmerzen. Aber Sie
    wiederzusehen, wird ihm eine große Freude sein. Bitte, reden Sie ein bißchen mit ihm; er geht auf dieser Seite auf
    und ab.«
    Sergei Iwanowitsch erwiderte, es sei ihm eine große Freude, das zu tun, und begab sich nach der anderen Seite
    des Zuges.
Fußnoten
    1 (frz.) völlige Entkräftung.
    2 (frz.) das wird in Petersburg nicht sehr
    gern gesehen.

5
    In dem schrägen, abendlichen Schatten einer Menge von Säcken, die auf dem Bahnsteig aufgeschichtet war, ging
    Wronski in seinem langen Mantel, den Hut tief in die Augen gedrückt, die Hände in den Taschen, wie ein wildes Tier
    im Käfig auf und ab; immer nach zwanzig Schritten wendete er scharf um. Sergei Iwanowitsch glaubte, als er sich ihm
    näherte, Wronski sähe ihn und tue nur so, als ob er ihn nicht bemerke. Aber dadurch ließ sich Sergei Iwanowitsch
    nicht abschrecken. Über persönliche Empfindlichkeiten war er bei Wronski erhaben.
    In diesem Augenblick war Wronski in Sergei Iwanowitschs Augen ein wichtiger Mitarbeiter an einer großen Sache,
    und er hielt es für seine Pflicht, mit ihm zu reden und ihm seine Anerkennung auszusprechen. Er trat an ihn
    heran.
    Wronski blieb stehen und blickte ihn an; sobald er ihn erkannt hatte, kam er ihm einige Schritte entgegen und
    drückte ihm kräftig die Hand.
    »Vielleicht ist es Ihnen nicht erwünscht, mit mir zu sprechen«, sagte Sergei Iwanowitsch. »Aber kann ich Ihnen
    nicht irgendwie nützlich sein?«
    »Mit niemandem kann mir ein Gespräch so wenig unangenehm sein wie mit Ihnen«, erwiderte Wronski. »Nehmen Sie mir
    das nicht übel; Angenehmes gibt es für mich im Leben nicht mehr.«
    »Ich verstehe das und wollte Ihnen auch nur meine Dienste anbieten«, sagte Sergei Iwanowitsch und blickte
    Wronski in das Gesicht, dem das Leid seinen Stempel aufgeprägt hatte. »Können Sie einen Brief an Ristitsch oder
    Milan brauchen?«
    »Danke, nein!« antwortete Wronski, der anscheinend das Anerbieten nur mit Mühe verstanden hatte. »Wenn es Ihnen
    recht ist, so wollen wir auf und ab gehen. In den Wagen ist eine so stickige Luft. Einen Brief? Nein, ich danke
    Ihnen; um zu sterben, dazu braucht man keine Empfehlungen. Oder höchstens eine an die Türken ...«, fügte er hinzu
    und lächelte dabei, aber nur mit dem Munde; die Augen behielten ihren grimmig schmerzerfüllten Ausdruck.
    »Das wohl, aber mit den leitenden Persönlichkeiten in Verbindung zu treten, was für Sie doch unumgänglich
    notwendig ist, würde Ihnen doch vielleicht leichter werden, wenn sie darauf vorbereitet sind. Indes, ganz wie Sie
    wünschen. Ich habe mich sehr gefreut, als ich von Ihrem Entschlusse hörte. Es werden bereits so viele Anklagen
    gegen die Freiwilligen gerichtet, daß es sehr erwünscht ist, wenn ein solcher Mann wie Sie sie wieder in der
    öffentlichen Meinung hebt.«
    »Als Kämpfer«, erwiderte Wronski, »besitze ich insofern eine brauchbare Eigenschaft, als das Leben für mich
    keinen Wert mehr hat. Und daß genug körperliche Kraft in mir steckt, um ein Karree zu sprengen und niederzustampfen
    oder zu fallen, das weiß ich. Ich freue mich, daß etwas da ist, wofür ich mein Leben hingeben kann, mein Leben, das
    mir wertlos, ja geradezu zuwider geworden ist. So hat doch wenigstens irgend jemand einen Nutzen davon.« Er machte
    eine ungeduldige Bewegung mit der Kinnlade wegen des unaufhörlichen dumpfen Zahnschmerzes, der ihn sogar hinderte,
    mit einer solchen Klangfärbung zu sprechen, wie er es wollte.
    »Sie werden wieder zu neuem Leben erwachen, das sage ich Ihnen voraus«, sagte Sergei Iwanowitsch nicht ohne
    Rührung. »Die Erlösung der Stammesbrüder vom Joche der Knechtschaft ist ein Ziel, das in gleicher Weise wert ist,
    dafür zu sterben und dafür zu leben. Gott gebe Ihnen äußeren Erfolg und inneren Frieden«, fügte er hinzu und
    streckte ihm die Hand hin.
    Wronski drückte kräftig die Hand, die ihm Sergei Iwanowitsch reichte.
    »Ja, als Waffe kann ich noch zu etwas nütze sein; aber als Mensch bin ich eine Ruine«, sagte er stockend.
    Der bohrende Schmerz in dem kräftigen Zahn füllte ihm den Mund mit Speichel und hinderte ihn am Sprechen. Er
    verstummte und betrachtete die Räder des langsam und glatt über die Schienen dahinrollenden Tenders.
    Und plötzlich ließ ihn ein ganz anderes

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