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Anna Marx 9: Feuer bitte

Anna Marx 9: Feuer bitte

Titel: Anna Marx 9: Feuer bitte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Grän
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erinnern, einmal so jung gewesen zu sein, und Josef überspielt seine Trauer um verlorene Jahre mit Exzentrik, denn einfach nur alt zu sein ist schäbig.
    Leben, leben, die Gier ist unermesslich, doch er kann sie nicht befriedigen. Er sieht Anna tief in die Augen und meint zu finden, was seiner Eitelkeit Nahrung gibt. Ab einem gewissen Punkt sind sie alle leichte Beute, die Stolzen und Scheuen, die Vernünftigen und Sentimentalen, die Enttäuschten und Erwartungsvollen, die Klugen und Dummen. Doch es erfordert Geschick, dorthin zu kommen. Und je älter er wird, desto virtuoser spielt er auf dem Instrument der Verführung. Es ist ein Spiel, das ihn fasziniert, zumindest so lange, bis er an den Punkt kommt. Dann ist alles Routine. Und es wird bei ihr nicht anders sein, denn sie sind leicht zu haben, die Damen über fünfzig.
    Vielleicht ist sie ein schwieriger Fall, denn ihr Blick ist skeptisch, und manchmal erscheint ihr Lächeln ironisch. Ihre Hände verraten Nervosität: Wenn sie nicht raucht, spielt sie mit dem Weinglas. Lange, kräftige Finger, nachlässig lackiert Nägel und ein Ring von gewissem Wert, allerdings ist der Stein nicht erste Wahl. Sie war nie verheiratet. Zu wählerisch, Zeile für Zeile ihre eigene Wüste, und nun hat sie Durst, das alte Mädchen, und Schmeicheleien kommen ihm so leicht von den Lippen und fließen, von Vernunft zensiert, dennoch in ihr Herz. Wer hat ihr zuletzt gesagt, dass sie wunderschöne Augen hat? Wer ihre Hand berührt?
    Er zitiert ein paar Zeilen des lausigen Dichters Gangwein, der mit dem Fluch der Talentlosigkeit und gleichwohl dem Drang zu Höherem geboren wurde. Kein Erbe, das diese Diskrepanz aufhob, und zu viele Jahre seines Lebens hat er mit niedriger Arbeit vergeudet, bevor er sich zum Poeten empor schwang, ein Beruf, der zumindest die Frauen beeindruckt. Sie dichten selbst gerne und nennen es Wahrheit. Diese rothaarige Person spricht sehr wenig von sich, stellt aber viele neugierige Fragen. Sie will wissen, wie viele Frauen er schon geliebt hat.
    Hunderte – und keine. Die Liebe stirbt oft eines plötzlichen und erwarteten Todes. Denn nichts währet ewig – nicht einmal die Wirkung der Potenzpille, die er geschluckt hat für den Fall der Fälle. Es sieht nicht so aus, als ob es dazu kommen würde, doch weiß man es bei den ausgehungerten Hyänen, die Linda Kroll auf ihrer Liste hat?
    Zwei Stunden rhetorischen Vorspiels hat er eingeplant … und die Uhr läuft jetzt … und der Zeiger bewegt sich nach unten …

5. Kapitel
    »Mondscheintarif« kurz vor Mitternacht: Die Kneipe liegt fast gegenüber von Annas Wohnbüro im Scheunenviertel, und um diese Zeit sind die Gäste getränkt von sanfter Melancholie, Alkohol und Müdigkeit. Am Ende des Tages finden sich die üblichen Verdächtigen an Freddys Theke: Anwohner, der schwule Clan des Barkeepers sowie Fremde, die von einem Ort zum anderen ziehen auf der Suche nach dem wahnsinnigen Spaß, der ultimativen Begegnung, dem Rausch des Vergessens. Leiser ist die Musik zur Geisterstunde, und wer nicht schweigen kann, schwelgt in besoffenen Themen von Politik, Geld oder Liebe. Folter im Irak und die deutsche Misere auf hohem Niveau, sinkende Aktienkurse und steigende Arbeitslosigkeit, die ernste Liebe und der leichte Sex. Es ist alles eins, und nur um eines geht es: diesen Tag zu überleben und wenn möglich die nächsten, am besten nicht allein.
    Sibylle sitzt an der Theke vor einem Glas Milch und raucht die todbringende Zigarette. Sie sieht müde aus, ein schlafgestörtes Muttertier, das als Kneipenwirtin zu funktionieren hat. Anna hat drei Stunden Nachtwache bei Jonathan gehalten und dabei versucht zu lesen, doch Babys schlafen unsäglich leicht, und wenn sie aufwachen, schreien sie. »Was willst du von mir?«, brüllte Anna irgendwann zurück, und er schien es komisch zu finden, denn er lächelte wie ein Engel und war still. Für ein paar Sekunden. Anna hat die zweifelnde Freundin einst darin bestärkt, dieses Kind auszutragen. Das hat sie nun davon. Sibylles Blick ist flehend: »Hat er geschlafen?«
    »Wenig, aber er war lieb.« Anna setzt sich auf den freien Barhocker und überlässt Freddy die Wahl des Getränks. Er stellt ein Bier vor sie hin. »Babys machen durstig.«
    Und sehr, sehr aggressiv, denkt Anna. Wenn sie schlafen oder lächeln, sehen sie aus wie verknautschte Engel. Doch das Brüllen ist teuflisch, es zerrt an allen Nerven bis hin zum Zusammenbruch aller Liebe. Seit sie zum Kreis der Kinderhüter gehört,

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