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Anna Marx 9: Feuer bitte

Anna Marx 9: Feuer bitte

Titel: Anna Marx 9: Feuer bitte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Grän
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versteht Anna, dass auch die Mutter-Kind-Beziehung nicht perfekt ist. Weil sie aus vollkommener Abhängigkeit besteht. Aus der Fortpflanzung von Schuld. Und der Gedanke Ich könnte dich aus dem Fenster werfen war da, und sie weiß, dass auch Sibylle ihn kennt. Es sind die besseren Mütter, die das zugeben, zumindest nach Annas Auffassung.
    »Prost, Mama. Du kannst dich entspannen. Er schläft, und ich habe das Babyfon mitgebracht.« Das Folterinstrument liegt auf der Theke, und Sibylle starrt darauf, als wolle sie es hypnotisieren, still zu bleiben. Anna streicht über ihren verspannten Nacken. »Na komm, er war fast die ganze Zeit wach, jetzt ist drei Stunden Ruhe …«
    »With a little help from my friends« ist ein gutes Lied zu dieser Stunde, und Fjodor singt laut mit, weil er Tenor ohne Engagement ist und manchmal die Stimme mit ihm durchgeht. An seinen Gesang zu allen Gelegenheiten hat Anna sich mittlerweile gewöhnt, und auch daran, dass er sie regelmäßig anschnorrt, weil er sie in die Familie seiner Mäzene eingereiht hat. Doch Fjodors Kreuzzug gegen Raucher geht ihr allmählich zu weit. Gemeinsam mit Freddy versucht Fjodor, ein Rauchverbot im »Mondscheintarif« durchzusetzen, die beiden sammeln Unterschriften bei den Stammgästen und husten abwechselnd anklagend, wenn jemand sich eine Zigarette anzündet. Was Anna jetzt tut.
    »Roken ist dodelijk«, ruft Fjodor jetzt, die flämische Variante, denn er kann diesen Satz in fast allen Sprachen.
    »Klingt witzig«, sagt Anna, pafft ungerührt weiter und nimmt sich vor, ihm nie wieder etwas zu leihen und die Polizei zu rufen, wenn er das nächste Mal bei offenem Fenster Arien schmettert. Seit Jonathan auf der Welt ist, raucht sie nicht mehr in Sibylles Wohnung, die oberhalb der Kneipe liegt. Raucht nicht in öffentlichen Gebäuden oder Verkehrsmitteln, auf Flug- und Bahnhöfen, in Gegenwart von Kleinkindern und Asthmatikern. Sie findet, das reicht. Es muss Refugien geben für die süchtige Minderheit, die genauso stirbt wie alle anderen. Vielleicht schneller, aber andererseits gibt es viele Arten, zu Tode zu kommen. Zum Beispiel durch Herzensbrecher und – Diebe, und Julia wählte den Strick, eine Form des Selbstmords, die Anna fast so martialisch findet wie die Samuraivariante. Sie wäre eher der Schlaftablettentyp, in Verbindung mit einer Flasche Wodka, aber nein, da ist immer noch diese Neugier auf das Leben, und die kann sie nicht töten, solange sie fühlt.
    Die Putzfrau fand Julia Mauz im Schlafzimmer, es war der Donnerstag, an dem sie immer kam, und da hatte Julia Mauz schon drei Tage an einem Wäscheseil gehangen. Bis auf die umgeworfene Trittleiter war die Wohnung ordentlich aufgeräumt. Julia hatte ihre Tagebücher verbrannt und die Asche in den Mülleimer geworfen. Es gab nichts mehr zu tun, als die Notrufhummer zu wählen.
    Anna hat mit der Putzfrau gesprochen, zumindest in Ansätzen, denn Deutsch ist nicht immer die gängige Sprache in Berlin. Olga beherrscht die Diskretion der drei Affen. Über die Tote sagte sie nur Gutes, obwohl sie Julia Mauz offensichtlich nicht mochte. Fünf Euro die Stunde, das Wort »Hungerlohn« kam Olga schnell über die Lippen. Die Ausgebeuteten sind sich ihrer Lage bewusst, doch sie wissen auch um das kapitalistische Spiel von Angebot und Nachfrage. Die Schwester hat Olga in ihre Dienste übernommen, sie begründete es mit moralischer Pflicht, obwohl Olga vermutlich billiger ist als die Tschechin, die sie bisher hatte. Anna mag Eva Mauz nicht, und in solchen Fällen unterstellt sie stets niedrigste Motive. Doch ihr Geld braucht sie dringend, obwohl sie im »Mondscheintarif« anschreiben lassen darf, bis sie wieder flüssig ist. Es wird nie sprudeln, denkt Anna, weil ich eine lausige Detektivin und noch schlechtere Autofahrerin bin. Bisweilen sackt die Stimmung in Weltschmerz, den mit Alkohol zu bekämpfen müßig ist: Er macht alles nur noch schlimmer.
    »Ist noch was zu essen da?«
    Sibylle sieht Anna mit müden Augen an. »Nur noch ein paar Sushi.«
    »Ich hasse Sushi.«
    Anna hasst fast alles, was gesund und kalorienarm ist. Sibylle murmelt etwas von Käse und Wein.
    »Das klingt schon besser. Bleib sitzen, ich hole es mir aus der Küche.«
    »Im kleinen Kühlschrank«, ruft Sibylle ihr nach. »Und bring mir auch was mit.«
    Freddy schüttelt den Kopf, denn er missbilligt Fressorgien nach Mitternacht. Disziplin ist, was den beiden Frauen fehlt, die er anbetet, weil sie so lasterhafte Geschöpfe sind. Bevor Sibylle

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