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Anna Marx 9: Feuer bitte

Anna Marx 9: Feuer bitte

Titel: Anna Marx 9: Feuer bitte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Grän
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spricht. Sie hakt sich bei ihm unter und fragt sich, wer wen beschützen würde. Der russische Tenor würde nicht einmal schreien, weil er seine Stimmbänder schonen will. Ihre rechte Hand umklammert die Spielzeugpistole in der Handtasche. Die Fremden sind zu dritt, das sind zwei zu viel, wenn es ernst werden sollte. Doch nach ein paar Sekunden, in denen Anna die Luft anhält und ihr Körper Adrenalin produziert, ziehen die Glatzköpfe grölend weiter.
    Anna atmet aus und tastet erleichtert nach dem Hausschlüssel.
    »Er hat bei dir genächtigt«, sagt Fjodor. Sie öffnet die vermoderte Holztür, die sich auch mit einem kräftigen Tritt aufstoßen ließe. Das Flurlicht ist kaputt, wie immer, und sie tasten sich Stufe für Stufe nach oben. Ich hätte ihn den Wölfen zum Fraß vorwerfen sollen, denkt Anna. »Na, und wenn schon. Mach keine Oper daraus.«
    »Er ist ein gefährlicher Mann.« Fjodor ist weiter nach oben gegangen, und Anna steht vor ihrer offenen Wohnungstür. Dahinter ist die Leere, die sie fürchtet. Liebling – gefährlich? Fjodor ist ein Idiot, er hat ja nicht einmal begriffen, wie bedrohlich die Glatzköpfe waren. Dennoch ruft sie ihm durchs dunkle Treppenhaus hinterher: »Wie zum Teufel meinst du das?«
    Keine Antwort, sie hört das Knarren der Stufen. Alles in diesem Haus tönt absonderlich und entspricht somit seinen Bewohnern. Die Wasserhähne rauschen nicht, sie gurgeln. Die Fenster quietschen, wenn man sie öffnet. Der neue Kühlschrank rattert, weil er auf schiefem Boden steht. Die Glühbirnen zirpen wie altersschwache Grillen. Irgendwann wird einer das Haus sanieren und teuer vermieten. Wenn Geld in die Stadt kommt, die so hoffnungslos pleite ist. Also vielleicht nie. Und alles bleibt, wie es ist, was schrecklich, aber auch schön ist.
    Liebling – gefährlich? Für wen und warum?, denkt Anna, während sie ihr Gesicht in den kalten Wasserstrahl taucht. Fjodor ist ein Idiot, aber manchmal lag er mit seinen düsteren Prognosen nicht gänzlich falsch. Natürlich besitzt er kein zweites Gesicht, wer glaubt denn an sowas? Trotzdem sollte sie nicht einen Fremden in ihr Bett nehmen. Liebling zu heißen, ist noch keine Charaktergarantie. Als Anna hoch sieht, in den Spiegel, glaubt sie für einen Augenblick, Julia Mauz zu sehen. Das Gesicht eines traurigen Kamels. Ein totes Kamel. Es hat alles abgeworfen, was wehtun könnte.
    »Du wirst schon sehen, ich krieg ihn noch«, sagt Anna zum Spiegel. Rotweinschwer. Und glaubt daran, bis sie einschläft.

6. Kapitel
    Das Restaurant im Parterre hat außer Panoramafenstern nicht viel zu bieten. Liebling verabscheut die Edelkantine, weil das Essen schlecht ist und der Service dieser traurigen Tatsache kaum nachsteht. Das Leben ist zu kurz für alles, und sensible Kreaturen zerschellen an den Klippen ihrer Ansprüche.
    Wie der irische Abgeordnete am Nebentisch, der Politiknur in konstanter Trunkenheit ertragen kann. Seine Assistentin und Geliebte wird ihn stützen, wenn er aus dem Lokal wankt. Sie sieht aus wie eine abgemagerte, frigide Kuh. Gibt es frigide Kühe? Egal, solange die »Bunten Bentheimer« nicht aussterben, eine gefährdete Schweinerasse, die in Brüssel eine Lobby braucht, um Teil des geplanten EU-Programms zur Erhaltung der Agrobiodiversität On-Farm zu werden. Der Verein der »Bunten Bentheimer« könnte einen wie Liebling nicht bezahlen, hierin liegt die wahre Gefährdung der Schweine. Mal sehen, was er tun kann, Liebling hat ein Herz für bedrohte Minderheiten, das allerdings in keinem konkreten Verhältnis zu seinen finanziellen Bedürfnissen steht. Die Exfrau ist teuer. Brüssel ist teuer. Die Geliebten sind es auch, denn sie wollen verwöhnt werden. Schließlich ist er kein Adonis, sondern ein älterer, leicht beleibter Herr mit Jahresringen. Die Models, die Übersetzerinnen und Assistentinnen, sie alle waren jünger und schöner als er, und das musste bezahlt werden. Anna Marx ist die erste Ausnahme von der Regel, nur muss man sie füttern, denn sie ist ziemlich gefräßig.
    Neugierig auch, und deshalb ist sie jetzt in der Luft, auf dem Weg nach Brüssel, um Liebling in seinem natürlichen Lebensraum zu besichtigen. Das Biotop ist eine ewige Baustelle. Der sternförmige Berlaymont-Bau war jahrelang verhüllt, weil größere Mengen Asbest abgetragen wurden. Die Kommission und ihre zwanzigtausend Beamten, die Europaabgeordneten mit ihren Assistenten, die Übersetzer und Verwaltungskräfte sind in allen verfügbaren Gebäuden des europäischen

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