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Anna Marx 9: Feuer bitte

Anna Marx 9: Feuer bitte

Titel: Anna Marx 9: Feuer bitte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Grän
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noch Everybody’s Darling.
    Auf der Diskette sind Daten über Brüsseler Spitzen: Kommissare, Direktoren, Beamte, Abgeordnete, Assistenten. Informationen, die Liebling im Lauf seiner Arbeit gesammelt hat, und sie sind ein Kaleidoskop der Leidenschaften: Trunksucht, Drogenabhängigkeit, Völlerei, Promiskuität, Homosexualität, sexuelle Präferenzen, manchmal auch nur Hobbys oder Vorlieben für bestimmte Zigarren, Weine, Bücher, Kunstwerke. Und natürlich der Faktor Bestechlichkeit. Sie beginnt mit einer Einladung ins »Comme Chez Soi«, führt über Geschenke und Reisen und endet im Niemandsland eines Schweizer Nummernkontos. Die Grenzen sind so fließend, dass es der Brüsseler Betrugsbehörde schwer fällt, den ersten Stein zu werfen. Und würde in dem Steinhagel nicht alles, alles zusammenbrechen?
    Und wer von euch ohne Schuld ist … im Buch seines Lebens hat Liebling alles notiert, was er in Brüssel und Straßburg an allzu Menschlichem gesammelt hat. Nicht, um Leute zu erpressen oder bloßzustellen, Gott bewahre. Er ist weder ein Verbrecher noch ein Moralist, Letzteres schon gar nicht. Es war die Lust am Detail, die ihn trieb, alles aufzuschreiben. Nützliche Daten im Umgang mit der Macht, und er nannte sein Werk »Die sieben Todsünden«. Schien ihm komisch, dieser Titel, und er hatte ja nie die Absicht, das Material zu veröffentlichen.
    Kleine Geheimnisse eines diskreten Spions, oder die Kunst der Kommunikation mit anderen Mitteln.
    Die achte Todsünde war allerdings, die Diskette zu verlieren. Er zieht diese Annahme einem Diebstahl vor. Denn niemand wusste davon, nicht einmal seine Sekretärin oder sein Assistent. Sicher ahnten sie etwas, doch beide hatten keinen Zugang zu seinem Giftschrank. Er ist unberührt, und die einzig mögliche Erklärung ist, dass er die Diskette nicht zurücklegte, als er sie zum letzten Mal benutzte. Dass sie irgendwo in dem Chaos liegt, das er Büro nennt. Das schlampige Kind ist mitgewachsen, und in Brüssel, dieser unordentlichen Stadt mit ihren maroden Häusern und Straßen, fühlt es sich wohl. Müllsäcke auf den Straßen gefallen ihm besser als aufgereihte Container. Chaos ist jene Ordnung, die bei der Erschaffung der Welt zerstört wurde – nach Lee und Liebling. Und was, wenn die Diskette in einem Zeitungsstapel lag, in den Papierkorb geriet und von der Putzfrau entsorgt wurde? Ein kleiner Weltuntergang, auch wenn einige der Daten in seinem Gedächtnis gespeichert sind. Liebling fühlt sich einsam ohne seine Diskette. Und ein wenig furchtsam: In fremden Händen wären die »Sieben Todsünden« eine Bombe von gewaltiger Zerstörungskraft.
    Nadja winkt ihm zu, und er verzieht sein Gesicht zu einem strahlenden Lächeln. Die französische Abgeordnete steuert auf einen großen Tisch zu, und in ihrem Tross befinden sich konservative Abgeordnete verschiedener Nationen. Nadja sucht eine Mehrheit für die Abstimmung über Gentechnik. Ein Herzensanliegen: Sie sitzt im Aufsichtsrat eines französischen Pharmakonzerns. Viele Abgeordnete sind gleichzeitig Lobbyisten, auch dies eine Brüsseler Spezialität mit Beigeschmack, doch daran nehmen die Journalisten bisher keinen Anstoß.
    Claudias Schatten fällt auf seinen Tisch, und Liebling sieht auf. Sie hat gewartet, bis er seine Zigarette ausgedrückt hatte, bevor sie sich näherte. Ihr Mundschutz hängt am Hals, und Liebling registriert den dezenten schwarzen Oberlippenbart. Sie spricht das weiche Deutsch italienischer Kellner, doch ihre Stimme ist hart und schrill: »Wusstest du, dass Rauchen den Penis verkürzt? Eine neue Studie aus Boston. Der Urologe Salimpour hat herausgefunden, dass Nikotin die Blutgefäße durch Kalkablagerungen schädigt und den Blutstrom hemmt. Bis zu acht Millimeter! Und gegen Penisverkalkung hilft auch Viagra nicht.«
    Sie spricht zu laut, und Liebling würde sie gern mit ihrem Mundschutz erwürgen. »Mach dir keine Sorgen, er ist lang genug. Möchtest du nachmessen?« Liebling greift nach der Zigarettenpackung, weil dies die sicherste Methode ist, Claudia zu vertreiben.
    »Wenn du an Lungenkrebs gestorben bist, werde ich an deinem Grab tanzen« sind ihre Worte zum Abschied, und Liebling fühlt ihren Hass wie eine eisige Dusche. Dann wendet sie sich ab und steuert auf einen Tisch der Grünen zu.
    Fast zweieinhalb Kilo Holz werden verbrannt, um den Tabak einer Schachtel Zigaretten zu trocknen: Man hat gemeinsame Anliegen. Die Tabakindustrie finanziert in Deutschland eine staatliche Antiraucherkampagne

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