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Anna Marx 9: Feuer bitte

Anna Marx 9: Feuer bitte

Titel: Anna Marx 9: Feuer bitte Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christine Grän
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Viertels untergebracht. Provisorien haben in Brüssel Ewigkeitswert.
    Im rosafarbenen Haus tagt der Ministerrat, während die Abgeordnetenbüros mit Nasszellen im Parlamentsgebäude untergebracht sind. Das Haus hat viel Glas zu bieten, doch damit ist auch schon alles über Transparenz gesagt. Es braucht einen wie Liebling, sich in dem Wirrwarr der Gänge, Sprachen und Kompetenzen zurechtzufinden. Der Guru der Lobbyisten grüßt nach allen Seiten und registriert beiläufig, wer mit wem an welchem Tisch sitzt. Sein Gedächtnis ist exzellent, er hat es trainiert, so wie seine Liebenswürdigkeit gegenüber allen, die ihm nützlich sein könnten. Er nennt es Babykissing: die Streicheleinheiten, die Geschenke zu Geburtstagen, den Champagner zu Jubiläen. Er versäumt es nie, auch die wichtigen Assistenten und Sekretärinnen zu bedenken, denn sie sind ein Quell von Informationen und verfügen über eigene Kommunikationsnetzwerke im europäischen Labyrinth. Wissen ist Macht, und Macht bringt Geld. Einfache Formeln hat Liebling immer schon schnell gelernt.
    Er kennt fast alle, die durchs Haus schwirren, doch mit der europäischen Erweiterung wird die Gemengelage vorübergehend unübersichtlich werden. Nach den Wahlen werden ein paar Abgeordnete verschwinden und durch neue ersetzt werden. Immerhin: Berlusconi wird nicht mehr dabei sein, manche Visagen wird er nicht vermissen. Dass die europäischen Konservativen auf dem Vormarsch sind, lässt Liebling kalt, denn Geld lässt sich auf allen Seiten verdienen. Europas Frischlinge werden an die Subventionstöpfe drängen – und wie man sie effizient öffnet und leert, das ist sein Metier. Ein kompliziertes Geflecht aus Regeln, Haushaltsvorschriften und Beziehungen wartet auf die Jungeuropäer – und Liebling wartet auf sie wie die Spinne im Netz.
    Darauf trinkt er von dem Bordeaux, den der lispelnde Belgier zu warm serviert hat. Wenn nur jeder seinen Job ordentlich machen würde, wäre die Welt vielleicht ein besserer Ort. Vielleicht aber auch nicht. Es gibt ordentliche Folterknechte und Generäle. Daran denkt er, als Claudia Riviera im Speisesaal auftaucht, gefolgt von ihrer lesbischen Assistentin, mit der sie Büro und Bett teilt. Claudia, europäische Gralshüterin der Hygiene, trägt wie immer ihren Mundschutz, den sie nur zum Essen und Reden vor dem Parlament abnimmt.
    Vielleicht auch beim Sex – wäre zumindest vorstellbar. Liebling meint, ihren hasserfüllten Blick trotz der Entfernung zu spüren. Nicht nur, dass er raucht und somit zu ihren erklärten Feinden gehört, nein, er berät auch noch die Tabaklobby, was in Claudias Weltbild einem Massenmord gleichkommt. Die italienische Abgeordnete hat sich zur Galionsfigur der europäischen Antiraucherkampagne stilisiert. Auf der Fanatismusskala hat sie Bin Laden oder Bush weit hinter sich gelassen, und Martin ist davon überzeugt, dass sie zumindest eines schaffen wird: das Rauchen in allen europäischen Gebäuden verbieten zu lassen. Aber nein, es wird ihr nicht genügen: Ganz Europa soll zur rauchfreien Zone werden. Die Welt … und wenn Gott Raucher wäre, würde sie darauf dringen, ihn zu exkommunizieren.
    Ein Teil der Kommission ist auf Claudias Seite, aber noch überwiegen die nationalen Kompetenzen und vor allem eins: die wirtschaftlichen Interessen. Tabaksteuer, dieses schmutzige Wort, und wie sollten die Länderetats ohne sie auskommen? Die Tabaklobby kämpft in Brüssel mit dem Rücken zur Wand, doch diese Wand ist sehr stabil, denn sie besteht aus Euroscheinen.
    Anna hat verkündet, dass sie auswandern wird, wenn die Diktatur der Nichtraucher greifen sollte. Am besten auf eine Fußgängerinsel, denkt Martin, und er fühlt ein leichtes Ziehen in einer Gegend, wo sein Herz zu vermuten ist. Sehnsucht. Er hat sie vor acht Tagen zum letzten Mal gesehen, und er vermisst ihr Lachen, ihren Mund. So groß und großzügig, und nichts muss er sein in ihrer Gegenwart, das ihn anstrengen würde. Kein überwältigender Liebhaber, kein dynamischer Held, kein Mann ohne schlechte Eigenschaften. Anna ist so fehlerhaft, dass in ihrer Gegenwart alles leicht und warm erscheint. Ja, sie wärmt ihn, und dafür ist er ihr dankbar bis an die Schwelle zur Liebe.
    Liebe, liebe Anna, verpass nicht das Flugzeug, weil du auch mit der Zeit schlampig umgehst. Brich dir nicht das Bein auf viel zu hohen Schuhen, wenn du die Gangway hochgehst. Trink nicht zu viele Wodkas gegen Höhen- und Flugangst.
    Dein Gesicht, nicht unbedingt schön, aber

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